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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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durch diese Visionen schon lange nicht mehr narren, weder von ihm noch sonst wem.
    – Hast du die Sprache verloren, Achak?
    Ich wusch weiter und erwartete, dass das Bild jeden Moment verschwand. Es war beunruhigend, von einer Vision angesprochen zu werden, aber es geschah nicht zum ersten Mal. Einmal war ich davon aufgewacht, dass mein Halbbruder Samuel mit mir über Pferde sprach. Ob ich sein neues Pferd gesehen habe, wollte er wissen. Er beschuldigte mich, sein neues Pferd gestohlen zu haben.
    – Achak, kennst du mich nicht mehr?
    Ich wusste, dass der Junge vor mir Moses war, aber der echte Moses war von den Murahilin getötet worden. Vor meinen Augen.
    Achak, sag was. Bist du’s? Bin ich verrückt? Ich gab nach und sprach mit der Vision.
    – Ich rede nicht mit dir. Geh weg.
    Prompt stand die Vision von Moses auf und ging davon. So etwas hatte noch keine meiner Visionen gemacht.
    – Warte!, sagte ich, richtete mich auf und ließ das Hemd fallen.
    Die Vision von Moses ging weiter.
    – Warte! Moses? Bist du das?
    Ich lief hinter der Vision von Moses her, und auf einmal wirkte sie mehr und mehr wie der echte Moses und nicht wie eine Vision von ihm, und mein Herz hüpfte wild umher, als suchte es nach einem Ausgang aus meinem Körper.
    Und endlich drehte sich die Vision von Moses um, und es war wirklich Moses. Ich umarmte ihn und klopfte ihm auf den Rücken und schaute in sein Gesicht. Es war Moses. Er war älter, hatte aber noch immer dieselbe Gestalt, ein muskulöser Mann im Miniaturformat. Es war ganz eindeutig Moses.
    Ich erklärte das mit den Visionen und dem echt und nicht echt, und Moses lachte, und ich lachte und dann boxte ich Moses sanft gegen den Arm. Moses boxte zurück, fester, gegen meine Brust, und ich tat es ihm nach, und im Handumdrehen boxten wir miteinander und veranstalteten einen Ringkampf im Staub, der heftiger ausfiel, als wir beide geplant hatten. Schließlich stieß Moses mich weg und jaulte vor echtem Schmerz auf.
    – Was? Was tut dir weh?
    Und er drehte sich um und schob sein Hemd hoch. Sein Rücken war mit dunkelroten Narben gestreift.
    – Wer war das?
    – Meine Geschichte ist so seltsam, Achak.
    Wir gingen unter einen Baum und setzten uns.
    – Hast du William gesehen?, fragte er.
    Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er in diesem Moment nach William fragen würde.
    – Nein, sagte ich.
    Wir waren sehr weit weg von zu Hause, deshalb hielt ich eine solche Lüge für vertretbar. Ich wollte nicht an William K denken. Stattdessen bat ich Moses, mir seine Geschichte zu erzählen, und er tat es.
    – Ich erinnere mich an das Feuer, Achak, du auch? Aber es war nirgendwo orange. Hast du das gesehen, als das Dorf brannte? Die Sonne stand direkt darüber, und das Feuer war durchsichtig oder grau. Hast du gesehen, wie durchsichtig das Feuer war?
    Ich konnte mich nicht an die Farbe des Feuers an dem Tag erinnern, als unser Dorf brannte. Vor meinem geistigen Auge war das Feuer orange und rot, aber ich glaubte Moses.
    – Ich weiß noch, dass ich langsam atmete, erzählte Moses weiter. – Ich atmete den Rauch ein. In unserer Hütte wurde es immer schwieriger zu atmen. Wenn ich ein bisschen Luft holte, musste ich husten, aber ich tat es trotzdem. Ich atmete immer weiter, und bald wurde ich schwach. Ich war so müde! Ich merkte, dass ich einschlief, aber ich wusste, dass es kein Schlaf war. Ich wusste, was passierte. Ich wusste, dass ich starb. Meine Mutter war tot, das wusste ich, sie lag direkt vor der Hütte. Ich wusste das alles, aber ich erinnere mich nicht mehr, wieso ich das alles wusste. Vielleicht wusste ich es in dem Moment gar nicht und stelle es mir jetzt, wo ich es weiß, so vor.
    Ich erinnerte mich, dass ich Moses Mutter gesehen hatte. Ihr Oberkörper war unbedeckt und ihr Gesicht war auf einer Seite verbrannt, bis zu Unkenntlichkeit verbrannt, doch ansonsten war sie unversehrt.
    – Also rannte ich los. Ich rannte durch die Tür und sprang über meine Mutter, und ich rannte. Ich wollte sie nicht ansehen, weil ich wusste, dass sie tot war. Und ich war wütend auf sie, weil sie mich in der Hütte allein gelassen hatte. Ich dachte, wie dumm von ihr, mich dort allein zu lassen, sie hätte doch wissen müssen, dass ich ersticken würde. Ich war so wütend auf sie, dass sie einfach gestorben war und mich drinnen zurückgelassen hatte. Ich fand sie furchtbar schwach und dumm.
    – Moses, hör auf.
    Ich erinnerte mich an Moses, wie er neben seiner Mutter stand und sie anschrie. Ich

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