Weit Gegangen: Roman (German Edition)
vorstellen, Achak. Ganz glatte Böden und alles sauber. Glas in den Fenstern. Wasser, das im Haus fließt. Ich wurde der Diener dieses Mannes. Der Mann hatte zwei Frauen und drei Kinder, und alle Kinder waren sehr jung. Ich dachte, die Kinder würden mich anständig behandeln, aber sie waren grausamer als ihre Eltern. Den Kindern wurde beigebracht, mich zu schlagen und zu bespucken. Für sie war ich eins von den Tieren. Vier Monate lang musste ich die Ziegen und Schafe im Hof hüten und das Haus putzen. Ich schrubbte die Böden und half beim Kochen und Servieren der Mahlzeiten.
– Warst du der einzige Diener?
– Da waren noch andere Sudanesen, ein Mädchen namens Akol, so alt wie deine Schwester Amel. Akol hat meistens in der Küche gearbeitet, aber sie war auch Hassans Konkubine. Sie war von Hassan schwanger, deshalb hasste Hassans erste Frau sie. Wenn die Frau sah, dass Akol vor Heimweh nach ihrer Mutter weinte, schrie sie sie an und drohte, ihr die Gurgel durchzuschneiden. Sie beschimpfte sie als Hure und Sklavin und Tier. Ich lernte viele arabische Worte, aber diese Schimpfwörter hörte ich am häufigsten. Mich beschimpfte sie bloß als jange – dreckiger Ungläubiger, ungebildeter Mensch. Sie gaben mir auch einen anderen Namen: Abdul. Sie schickten mich auf die Koranschule und nannten mich Abdul.
– Wieso schicken die denn ihre Sklaven zur Schule?
– Diese Leute wollen, dass alle Muslime werden, Achak. Also tat ich so, als sei ich ein guter Muslim. Ich dachte, dann wären sie netter zu mir, aber das passierte nicht. Sie schlugen mich mehr als nötig. Vor allem die Kinder peitschten mich mit Vergnügen aus. Der älteste Junge, der kleiner war als wir, peitschte mich oft pausenlos aus, wenn er mit mir allein war. Da ich mich nicht wehren durfte, blieb mir nichts anderes übrig, als vor ihm wegzulaufen, im Hof herumzurennen, bis er müde wurde. Ich wollte den Knaben umbringen, und ich hatte mir auch schon überlegt, wie.
Ich konnte die Augen nicht von der 8 hinter Moses’ Ohr abwenden. Ihre Farbe hatte sich im Sonnenlicht verändert.
– Ich war drei Monate dort, dann beschloss ich zu fliehen. Ich erzählte Akol von meinen Fluchtabsichten, und sie hielt mich für verrückt. Ich wollte nachts weglaufen. Beim ersten Versuch wurde ich gleich wieder geschnappt. Ich lief in den Nachbarhof, und ein Hund bellte los. Sein Besitzer kam mit einer Fackel heraus und erwischte mich. Ich war nur ganz kurz weg. Hassan lachte mich schallend aus. Dann zog er mich in den Hof und sagte, ich solle mich hinhocken. Ich hockte im Hof wie ein Frosch, und er holte seine Kinder raus und sagte ihnen, sie sollten auf mich draufspringen. Sie setzten sich auf meinen Rücken und taten so, als sei ich ein Esel, und sie lachten, und Hassan lachte. Sie nannten mich einen dummen Esel. Und die Kinder gaben mir Abfall zu essen. Sie sagten, ich solle ihn fressen, also fraß ich ihn – alles, was sie mir gaben. Tierfett, Teebeutel, fauliges Gemüse.
– Es tut mir so leid, Moses.
– Nein, nein. Das muss es nicht. Nein, das war der Schlüssel zu meiner Flucht. Nachdem ich den ganzen Abfall gegessen hatte, musste ich mich übergeben. In derselben Nacht erbrach ich mich stundenlang, und danach war ich zwei Tage krank. Ich konnte nicht stehen. Ich konnte nicht arbeiten. Akol half mir, und allmählich fühlte ich mich besser. Aber als ich auf dem Weg der Besserung war, hatte ich eine Idee. Ich beschloss, immerzu krank zu sein.
– Und so konntest du fliehen?
– Es war ganz leicht. Ich brachte mich dazu, mich ständig zu übergeben. Immer, wenn ich irgendetwas aß, stellte ich mir vor, ich würde Menschen essen. Ich stellte mir vor, ich würde Zebrafelle und die Arme von Babys essen. Dann kotzte und kotzte ich. Es dauerte nicht lange, da beschloss Hassan, mich loszuwerden. Er sagte, ich sei ein schlechtes Geschenk und er werde mich verkaufen. Eines Tages tauchten zwei Männer auf, auf Kamelen. Sie waren ganz in Weiß gekleidet, und das Weiß verhüllte ihre Gesichter und Füße. Sie warfen mich auf den Rücken eines Kamels, und ich wurde viele Tage lang weggebracht, zu einer Stadt namens Shendi. Wieder wurde ich mit Dinka-und Nuer-Jungen in eine Scheune gesperrt, aber diese Scheune war kleiner als die davor. Ein paar Jungen waren schon eine Woche oder noch länger da. Sie erzählten mir, in dieser Stadt würden Sklaven gehandelt. Sie sagten, die Händler dort kauften Sklaven für Leute in vielen verschiedenen Ländern – Libyen, Tschad,
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