Weit Gegangen: Roman (German Edition)
erzählte Moses nicht, dass ich das gesehen hatte. Ich schämte mich, dass ich nicht früher gekommen war, um ihn zu retten.
– Es tut mir leid, Achak. Aber das dachte ich nun mal. Ich betete für sie und bat um Vergebung für meine Gedanken. Ich rannte weiter und sah die Schule in der Ferne.
– Aber die Schule haben sie auch niedergebrannt, sagte ich.
– Ich wollte auch nicht in der Schule Schutz suchen, aber ich dachte, wenn dort noch andere Leute wären, könnten sie mir sagen, was ich machen soll. Ich rannte noch immer hustend durchs Dorf. Überall war Rauch. Von überall kamen Schreie, Schreie von Menschen, die gestürzt waren und bluteten. Ich sprang über zwei weitere Körper, alte Männer, mitten auf dem Pfad. Der zweite Mann packte meinen Knöchel. Er lebte. Er packte mich und sagte, ich solle mich zu ihm legen und mich tot stellen. Aber er war voller Blut. Ein Auge war verbrannt und zugeschwollen, und Blut floss aus seinem Mund. Ich wollte mich nicht zu dem blutigen Mann legen. Ich rannte weiter.
– Das war der alte Betrunkene vom Markt.
– Ja, kann sein.
– Ich habe ihn auch gesehen.
– Er ist gestorben.
– Er ist gestorben, ja.
– Ich hab keine Murahilin gesehen, und eine Weile dachte ich, sie seien fort. Doch dann hörte ich die Hufe. Es waren viele, und sie zogen durchs Dorf und riefen, Gott ist groß! Gott ist groß! Hast du gehört, wie sie das gerufen haben?
– Ja, das hab ich auch gehört.
– Ich schaute nach rechts, Richtung Markt, und sah zwei Männer auf ihren Pferden. Sie waren weit genug weg. Ich war sicher, ich würde es bis zur Schule schaffen. Aber ich lief nicht sehr schnell. Ich war so schwach und durcheinander. Die Hufe kamen näher. Es war so laut, das Dröhnen der Hufe erfüllte meinen Kopf. Ich dachte, die Pferde würden mich überrennen, ihre Füße würden mir jeden Moment Rücken und Kopf zertrümmern. Irgendetwas traf mich, und ich war sicher, es war der Huf eines Pferdes. Ich stürzte und fiel aufs Gesicht, Staub drang mir in die Augen. Ich hörte, dass ein Mann vom Pferd sprang, und dann Schritte. Dann war ich in der Luft. Der Mann hatte mich hochgehoben, umfasste mit einer Hand meine Rippen, mit der anderen meine Beine. Ein paar Sekunden rechnete ich mit dem Tod. Ich rechnete damit, dass ein Messer oder eine Kugel mein Leben beenden würde.
Wieder wollte ich Moses erzählen, dass ich gesehen hatte, wie der Reiter ihn jagte, aber ich tat es nicht, und irgendwann war es zu spät dafür, es ihm zu sagen. Und meine Erinnerung an die Verfolgungsjagd unterschied sich von Moses Version. Ich schwieg und ersetzte meine Erinnerung durch seine.
– Dann spürte ich Leder im Gesicht. Er hatte mich über den Sattel geworfen und mich daran festgebunden. Ich spürte ein Seil im Rücken, das mir in die Haut schnitt. Er band mich irgendwie ans Pferd. Das dauerte einige Minuten, und er machte immer mehr und mehr Knoten, und mit jedem schnitt das Seil tiefer in meine Haut. Schließlich setzten wir uns in Bewegung. Er hatte mich gefangen genommen. Jetzt war ich ein Sklave, das wusste ich.
– Hast du Amath gesehen?
– Zuerst nicht. Später sah ich sie einen Moment. Wir ritten los, und ich musste mich sofort übergeben. Ich hatte noch nie auf einem Pferd gesessen. Ich konnte den Boden unter mir sehen, der Staub hüllte meine Augen ein, und ich wurde hin-und hergeworfen wie ein Sack voller Knochen. Hast du schon einmal auf einem Pferd gesessen?
– Nicht wenn es sich bewegt.
– Es war schrecklich. Es wurde nicht besser. Ich konnte mich nicht daran gewöhnen, obwohl wir viele Stunden ritten. Als das Pferd endlich stehen blieb, blieb ich auf dem Pferd. Ich war daran festgebunden und spürte es unter mir atmen. Ich hörte die Männer essen und reden, aber sie nahmen mich nicht vom Sattel. Ich schlief ein, wachte auf und nach einer Weile schlief ich wieder ein, und immer so weiter. Ich wachte auf und sah den Boden unter mir vorbeirasen. Ich wachte auf, und es war Nacht, es war Mittag, es dämmerte. Zwei Tage später wurde ich auf die Erde geworfen, und da sollte ich schlafen, unter den Hufen des Pferdes. Am Morgen träumte ich, mein Kopf würde in die Sonne gedrückt. In meinem Traum war die Sonne kleiner, wie eine kleine Pfanne, und mein Kopf wurde dagegengedrückt. Die Hitze war so stark, sie schien mein Haar und meinen Schädel zum Schmelzen zu bringen. Ich erwachte durch den Geruch von Verbranntem. Ich roch brennendes Fleisch. Dann merkte ich, dass mein Traum kein Traum
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