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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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war: Der Araber hielt mir eine glühende Metallstange an den Kopf. Er brannte mir ein Zeichen ein. Er brannte mir die auf der Seite liegende Zahl acht ins Ohr.
    Moses drehte den Kopf, um es mir zu zeigen. Es war ein sehr grobes Brandzeichen, eine lilafarbene wulstige Narbe hinter dem Ohr.
    – Von jetzt an weißt du immer, wem du gehörst, sagte der Mann zu mir. Der Schmerz war so heftig, dass ich ohnmächtig wurde. Ich erwachte, als man mich hochhob. Ich wurde wieder auf den Sattel geworfen und festgebunden, diesmal noch fester als vorher. Wir ritten noch zwei Tage. Als wir anhielten, waren wir in einem Ort namens Um el Goz. Das war so eine Art Militärlager für die Regierungsarmee. Hunderte von Jungen wie ich waren dort, alle unter zwölf, Dinka-und Nuer-Jungen. Ich kam in eine riesige Scheune mit all den anderen Jungen, wo wir eingesperrt wurden. Es gab nichts zu essen. Die Scheune war voller Rat-ten; alle wurden von ihnen gebissen. Es gab keine Betten in der Scheune, aber nachts wollten wir nicht auf der Erde liegen, weil die Ratten keine Angst vor uns hatten und uns beißen konnten. Bist du schon mal von einer Ratte gebissen worden, Achak?
    Ich schüttelte den Kopf.
    – Wir beschlossen, zum Schutz gegen die Ratten einen Schlafkreis zu bilden. Wir hatten Stöcke, und die Jungen außerhalb des Kreises scheuchten die Ratten weg. So schliefen wir. Kennst du so einen Schlafkreis, Achak.
    Ich sagte, dass auch ich gelernt hatte, so zu schlafen.
    – Am nächsten Tag wurden wir in ein Gebäude geführt, und wir mussten uns auf Pritschen legen. Es war irgendein medizinisches Gebäude. Da waren Krankenschwestern, und sie stachen uns Nadeln in die Arme und nahmen uns Blut ab. Ich musste mich wieder übergeben, als ich das Blut aus dem Arm eines anderen Jungen kommen sah. Aber die Krankenschwestern waren sehr verständnisvoll. Es war ganz seltsam. Sie wischten mein Erbrochenes auf und gaben mir etwas Wasser. Dann legten sie mich wieder auf die Pritsche, und eine andere Krankenschwester kam, um mich festzuhalten. Sie beugte sich über mich, hielt mich mit einer Hand fest und drückte die andere auf meine Brust. Sie stachen die Nadel in meinen Arm und nahmen mir zwei Beutel Blut ab. Hast du schon mal eine Nadel im Arm gehabt, Achak?
    Ich sagte nein.
    – Sie ist so lang und hohl.
    Ich wollte nichts mehr über die Nadel hören.
    – Meinetwegen. Aber sie war riesig. Die Spitze ist angeschrägt. Sie stechen sie so rein.
    – Bitte.
    – Okay. Hinterher gab die Krankenschwester mir etwas gesüßten Zitronensaft und schickte mich zurück in die Scheune. In der Scheune erfuhr ich, dass manche von den Jungen schon viele Monate dort waren und dass sie einmal die Woche oder noch öfter Blut gespendet hatten. Man benutzte sie als Blutlieferanten für die Regierungssoldaten. Nach jeder Schlacht mit der SPLA holte man die Jungen aus der Scheune und nahm ihnen Blut ab.
    – Und da bist du geblieben?
    – Eine Zeit lang. Aber dann war es eine Weile ruhig. Es gab keine Verwundeten mehr, glaube ich. Wir wurden nicht gebraucht. Zumindest nicht alle. Also wurde ich nach vier Tagen in Um el Goz wieder aufs Pferd gepackt, und wir ritten mit ungefähr hundert anderen Murahilin weiter, diesmal sehr weit. Unterwegs sah ich Amath. Ich hörte die Schreie eines Mädchens, das meine Sprache sprach, und sah sie auf einem anderen Pferd, ganz nah bei mir. Der Mann, der sie hielt, schlug sie mit seinem Gewehr und lachte. Ich fing ihren Blick eine Sekunde lang auf, und dann verlor ich sie aus den Augen. Ich sah sie nicht wieder. Das war seltsam, sie so viele Hundert Meilen von zu Hause entfernt zu sehen.
    Die Schnüre in mir zerrissen erneut, aber ich sagte nichts.
    – Wir ritten viele Tage. Wir hielten an einem Haus, einem sehr schönen Haus. Es war das Haus eines wichtigen Mannes. Sein Name war Hauptmann Adil Muhammad Hassan. Der Mann, der mich dort hingebracht hatte, war irgendwie mit ihm verwandt. Ich hörte sie reden, und ich erfuhr, dass ich ein Geschenk für Hassan war. Hassan war sehr dankbar, und die beiden gingen hinein, um zu essen. Ich war noch immer draußen aufs Pferd gebunden. Sie waren den ganzen Abend im Haus, und ich blieb auf dem Pferd. Ich starrte auf die Erde und überlegte, wo ich wohl sein mochte. Endlich wurde ich losgebunden und in das Haus des Mannes gebracht. Hast du je das Haus von so einem Mann gesehen, einem Hauptmann der sudanesischen Regierungsarmee?
    Ich schüttelte den Kopf.
    – So ein Haus kannst du dir gar nicht

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