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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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jubelten.
    – Ihr werdet die gebildetsten Sudanesen aller Zeiten werden!, rief er. Verwirrt jubelten wir erneut.
    – Und jetzt fangen wir damit an, die Schulen zu bauen!
    Wieder jubelten wir, aber bald erstarb der Jubel. Uns dämmerte nämlich, dass diese Aufgabe uns zufallen würde. Und so war es auch. Am nächsten Tag wurden wir in die Wälder geschickt, um Bäume zu fällen und Gras zu sammeln. Man sagte uns, dass die Wälder gefährlich seien. Es gäbe Tiere in diesen Wäldern, so wurde gesagt. Und es gäbe Einheimische, die die Wälder als ihr Eigentum betrachteten und denen wir aus dem Weg gehen sollten. Die Gefahren waren zahlreich, und dennoch schickte man uns in die Wälder, und sogleich verschwanden Jungen. Am ersten Tag ging ein Junge namens Bol in den Wald, und acht Tage später wurde ein Teil seines Beins gefunden. Den Rest von ihm hatten Tiere gefressen.
    Aber wir beschafften die Materialien, und die Schulen wurden errichtet: vier Pfosten und darauf ein Dach aus Gras, wenn vorhanden, auch eine Plastikplane. Innerhalb einer Woche bauten wir zwölf Schulen, die praktische Namen erhielten: Schule Eins, Schule Zwei, Schule Drei und so weiter. Als wir alle Schulen fertig hatten, wurden wir auf das freie Feld gerufen, das als Paradeplatz diente und auf dem größere Kundgebungen stattfanden. Zwei Männer hielten Ansprachen, ein Sudanese und ein Äthiopier, die beiden Ausbildungsleiter im Camp.
    – Jetzt habt ihr Schulen!, sagten sie.
    Wir jubelten.
    – Ab sofort werdet ihr jeden Tag zuerst exerzieren. Danach besucht ihr den Unterricht. Und nach dem Unterricht werdet ihr bis zum Abendessen arbeiten.
    Wieder bekam unsere Begeisterung einen Dämpfer.
    Doch andere Bereiche des Lagerlebens besserten sich. Seit die UN da waren, kamen zum Beispiel auch Kleiderlieferungen, etwas, das bei allen Jungen für große Erleichterung sorgte, vor allem bei denjenigen, die zu alt waren, um noch nackt herumzulaufen, und die seit unserer Ankunft in Äthiopien unbekleidet geblieben waren. Wenn eine Lieferung ankam, holten die älteren Jungen die großen Kleidersäcke ab, auf denen Spende des Vereinigten Königreichs stand oder Spende der Vereinigten Arabischen Emirate , und brachten sie zu den kleineren Gruppen. Als wir das erste Mal etwas bekamen, fiel mir die Aufgabe zu, die Kleidung an die Elf zu verteilen, und um keinen Streit aufkommen zu lassen, setzten wir uns im Kreis hin, und ich reichte den Inhalt des Sacks, immer jeweils ein Kleidungsstück, im Uhrzeigersinn herum. Es spielte keine Rolle, dass die Sachen dem jeweiligen Empfänger nur selten passten. Ich wusste, dass die elf untereinander und mit anderen tauschen würden, und das war auch notwendig, da die Hälfte unserer ersten Lieferung aus Frauenkleidung bestand. Es hätte lustig sein können, wenn wir uns nicht so verzweifelt danach gesehnt hätten, wieder so auszusehen wie früher, mit Hemden, Schuhen und Hosen. Ohne Kleidung konnten wir unsere Wunden oder die vorstehenden Rippen nicht verbergen. Unsere Nacktheit, unsere Lumpen offenbarten unsere jämmerliche Verfassung allzu schonungslos.
    Bis zum Schulbeginn waren die meisten von uns dank eines erfolgreichen Tauschhandels richtig bekleidet, und als wir uns am ersten Tag hinsetzten, fühlten wir uns wie richtige Schüler und die Schule kam uns wie eine richtige Schule vor. Am ersten Unterrichtstag saßen einundfünfzig Jungen auf dem Boden und warteten. Schließlich kam ein Mann angeschlendert und stellte sich als Mr Kondit vor. Er war ein großer Mann, sehr schlank, mit einem auffällig kleinen Kopf. Er schrieb seinen Namen an die Tafel, und wir waren tief beeindruckt. Nur wenige unter uns kannten überhaupt Buchstaben, aber dennoch starrten wir auf die weißen Zeichen an der Tafel und blinzelten, fragten uns gespannt, was als Nächstes geschehen würde.
    Am ersten Unterrichtstag ging es um das ABC. Mr Kondits Stimme war laut und rau und klang, als sei er ungeduldig, weil er uns so viel erläutern musste. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, als wünschte er sich nichts lieber, als das Thema Alphabet und überhaupt den ganzen Stoff, der mit Schreiben und Lesen zu tun hatte, in einer Stunde abhandeln zu können. Am liebsten hätte er einfach nur auf das Alphabet gezeigt und fertig.

A B C
    Er schrieb die drei Buchstaben auf und las sie laut vor, demonstrierte die Laute, für die sie standen. Weil wir weder Stifte noch Papier hatten, schickte Mr Kondit uns nach draußen. Dort schrieben wir die Buchstaben mit

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