Weit Gegangen: Roman (German Edition)
weil mein College und meine Brüder in Seattle sind. Aber wenn du mich wirklich so liebst, wie du sagst …
Wir werden uns wohl mailen müssen, bis ich ein neues Handy habe. Vielleicht tut uns diese Pause mal ganz gut.
Liebe Grüße,
Tabitha
Und eine Woche später, als sie wieder ein Handy hatte:
Liebling,
gestern habe ich vor dem Einschlafen an dich gedacht. Und dann hatte ich süße heiße Träume von dir und mir. Frag mich nicht, was in dem Traum passiert ist. Das will ich dir lieber am Telefon erzählen, ich will es dir zuflüstern, wenn wir zusammen auf unseren Kissen liegen. Könntest du bitte heute Abend nicht früh schlafen gehen, damit ich dich anrufen kann? Ich ruf spätestens um 10 oder 11 deiner Zeit an.
Schreibe ich dir zu oft? Bitte sag es mir. Wo warst du? Gehst du mir aus dem Weg? Bitte spiel nicht mit mir. Ich muss wissen, dass du mich liebst, weil das Leben im Augenblick nämlich schon dramatisch genug ist, auch ohne über etwas so Wichtiges wie die Liebe im Unklaren zu sein.
Verzweifelt und sehnsüchtig,
Tabitha
Ich glaube, Tabitha hatte es gern, umworben zu werden, zu wissen, dass ich so weit weg war, aber auf sie wartete und mich nach ihr verzehrte. Ich könnte mir vorstellen, dass sie ihren Freunden erzählte, ich sei »ein netter Kerl«, während sie sich zugleich nach Alternativen umsah. Das soll nicht heißen, dass sie noch andere Beziehungen hatte. Nur, dass sie eine begehrenswerte junge Frau war, und die Möglichkeiten, die ihr dieses Land bot, neu für sie waren und dass sie Anerkennung genauso sehr brauchte wie Liebe. Vielleicht sogar noch mehr.
Wie dem auch sei, Tabitha war nicht die erste Frau, die mich verwirrte, mich durcheinanderbrachte. In Äthiopien gab es vier solcher Mädchen, Schwestern, und es war außergewöhnlich, Mädchen wie sie in einem Flüchtlingslager wie Pinyudo anzutreffen. Ich war nicht der Einzige, der von ihnen schwärmte, sollte aber letztlich der Einzige sein, der bei ihnen Erfolg hatte. Jeder, der in meinem Camp in Äthiopien war, weiß von den Königlichen Mädchen von Pinyudo, aber ich war verwundert, dass auch Tabitha von ihnen gehört hatte.
Wir unterhielten uns eines Tages über meinen Namen. Tabitha hatte einer älteren amerikanischen Freundin erzählt, dass sie mit einem gewissen Valentino zusammen sei, und ihre Freundin hatte ihr erklärt, was es mit dem Namen alles auf sich hatte. Tabitha wurde eifersüchtig, nachdem sie die Geschichten von Rudolph Valentino gehört hatte, und rief mich postwendend an, um zu fragen, ob ich bei Frauen so viel Erfolg habe, wie mein Name vermuten ließ. Ich wollte nicht angeben, konnte aber auch nicht bestreiten, dass manche Frauen und Mädchen meine Gesellschaft genossen hatten. »Wie lange hält dein Erfolg bei den Ladys denn schon an?«, fragte sie in einem beunruhigenden Tonfall, der erheitert und vorwurfsvoll zugleich klang. Ich antwortete, das sei schon immer so gewesen sei, soweit ich zurückdenken könne. »Hast du etwa auch in Pinyudo schon mit Mädchen zu tun gehabt?«, fragte sie und rechnete mit einer negativen Antwort.
»Da waren ein paar Mädchen, ja«, erwiderte ich. »Da waren insbesondere vier Mädchen, Schwestern namens Agum, Agar, Akon und Yar Akech, und …«
An dieser Stelle unterbrach sie mich. Sie kannte die Mädchen. »Waren die aus Yirol?«, fragte sie. Ich antwortete, dass die vier tatsächlich aus Yirol stammten. Und erst dann stellte ich selbst die Verbindung her. Natürlich hatte Tabitha diese Mädchen gekannt. Sie hatte sie nicht nur gekannt, so erklärte sie, sie war mit ihnen verwandt, sie war ihre Cousine. Und weil sie sie kannte, war Tabitha zuerst weniger eifersüchtig, dann jedoch, als ich ihr die Geschichte der Königlichen Mädchen erzählte, umso mehr.
Es war im Jahr 1988. Wir waren seit einigen Monaten in Pinyudo, und dann geschah etwas Seltsames: Schulen wurden eröffnet. Es gab einen neuen Flüchtlingssprecher im Lager, Pyang Deng, und er war ein Mann, der bei uns allen als mitfühlend galt, als jemand mit hoher Integrität, als ein vernünftiger Mann, der anderen zuhörte. Er spielte mit uns, er tanzte mit uns, und mithilfe des schwedischen Zweigs von Save the Children und des UNHCR eröffnete er Schulen für rund achtzehntausend Flüchtlingskinder. Eines Tages berief er eine Versammlung ein, und da es im Lager damals noch keine Stühle oder Mikrofone gab, saßen wir auf der Erde, und er schrie, so laut er konnte.
– Ihr bekommt Schulen!, brüllte er.
Wir
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