Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
Vom Netzwerk:
gegrübelt, ohne dass mir eine passende Entschuldigung eingefallen war, aber jetzt, in einem Augenblick der Verzweiflung, hatte ich plötzlich die ideale Lösung parat.
    – Ich hatte Sorge, was eure Tante von mir halten würde. Jetzt horchten Agar und Agum auf.
    – Wie meinst du das?
    – Ich gehöre zu den Malual-Giernyang-Dinka. Ich spreche euren Dialekt nicht. Ich habe andere Sitten. Ich wusste nicht, ob eure Tante mich akzeptieren würde.
    – Ach so!, sagte Agar.
    – Wir dachten schon, sagte Agum, – du hättest einen Hirnschaden.
    Agar und Agum und sogar Yar brachen in ein lautes Kichern aus, ein eindeutiger Beweis dafür, dass sie ausgiebig über mich und meine mentale Verfassung nachgedacht hatten.
    – Ist nicht schlimm, dass du ein Malual-Dinka bist, sagte Agum. – Unserer Tante ist es egal, woher du stammst. Sie wird dich mögen.
    Dann tuschelte Agar ihrer Schwester irgendetwas beschwörend ins Ohr. Und Agum machte eine Einschränkung. – Aber um auf Nummer sicher zu gehen, erzählen wir ihr vielleicht gar nicht erst, dass du ein Malual-Dinka bist.
    Wieder wurde getuschelt.
    – Und wir erzählen ihr auch nicht, dass du aus Block 2 bist, aus der Gruppe der Elternlosen.
    Ich blieb eine Sekunde stumm.
    – Abgemacht?, fragte Agar.
    Mir war das völlig egal. Mich interessierte nur, dass mein Schachzug aufgegangen war. Ich hatte ein bisschen das Opfer gespielt, so getan, als würde ich mich als Malual-Dinka unterlegen fühlen, ihrer Gesellschaft unwürdig. Und es hatte geklappt. So konnten sie sich großzügig fühlen, indem sie mich akzeptierten, und meine anfängliche Ablehnung ließ mich nur noch ehrenhafter erscheinen. Ich gratulierte meinem Gehirn für seinen begnadeten Einfall unter Druck. Dennoch, ich durfte nicht übereifrig wirken. Ich musste weiterhin vorsichtig bleiben, die Risiken ansprechen.
    – Ist wohl am besten so, sagte ich und nickte ernst. – Was ist mit eurem Onkel?
    – Der arbeitet bis spät, sagten sie. – Der kommt nicht vor dem Abendessen nach Hause.
    In dem Moment nahmen die beiden älteren Mädchen plötzlich wieder ihre jüngste Schwester, Yar, zur Kenntnis, und sie blickten sie an, als sei sie ein Stachel in ihrem gemeinsamen Fleisch.
    – Du verrätst keinem was, Yar.
    Das kleine Mädchen starrte sie trotzig aus zusammengekniffenen Augen an.
    – Kein Wort, Yar. Sonst wirst du keine Nacht mehr ruhig schlafen. Wir schieben dein Bett in den Fluss, während du träumst. Und wenn du aufwachst, hast du lauter Krokodile um dich rum.
    Yars rundliches kleines Gesicht blickte noch immer trotzig, aber jetzt zeichnete sich auch Angst darin ab. Agar trat auf sie zu, warf einen kühlen Schatten über Yars kleinen Körper. Die kleinste Schwester stieß ihr Einverständnis im Wimmerton aus. – Ich sage nichts.
    Agar richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich.
    – Wir treffen uns nach der Schule im Koordinationszentrum.
    Ich wusste, wo das war. Dort vertrieben sich die Kinder, die nicht exerzieren mussten, die Zeit zwischen den Unterrichtsstunden und nach der Schule. Im Koordinationszentrum würde ich unter Kindern mit Eltern sein, Kindern, deren Eltern im Camp waren – die reicheren Kinder, die Söhne und Töchter von Lehrern und Soldaten und Kommandanten.
    Als die Schule aus war, rannte ich nach Hause. Kaum war ich da, wurde mir klar, dass ich keinen Grund hatte, zu Hause zu sein. Ich verweilte einen Moment in unserer Unterkunft und fragte mich, womit ich mir die Zeit vertreiben könnte. Ich zog mein zweites Hemd an, das hellblaue, und rannte dann zum Koordinationszentrum.
    – Wieso hast du dich umgezogen?, fragte Agar. – Dein anderes Hemd gefällt mir besser.
    Ich verfluchte mich selbst.
    – Mir gefällt das hier besser, sagte Agum.
    Sie fingen jetzt schon an, sich um mich zu streiten! Ich war selig.
    – Können wir?, fragte Agum.
    – Zum Mittagessen?, fragte ich.
    – Ja, zum Mittagessen, sagte sie. – Ist wirklich alles in Ordnung?
    Ich nickte. Ich nickte heftig, denn ich konnte es wirklich kaum erwarten. Aber zuerst mussten wir durchs Camp, und das war – ich wusste es vorher schon, und es erfüllte alle meine Erwartungen, Ängste und Träume, einfach alles, was ich mir in den drei Monaten meiner Planung ausgemalt hatte – der ungewöhnlichste Gang, den ich je unternommen hatte.
    Wir gingen los. Zwei Königliche Nichten zu meiner Linken, zwei zu meiner Rechten. Ich inmitten dieser hoch angesehenen Schwestern, und wir gingen zu ihnen nach Hause. Ja, das ganze Camp

Weitere Kostenlose Bücher