Weit Gegangen: Roman (German Edition)
registrierte es. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass alle meine Klassenkameraden vor Neid und Verblüffung schier außer sich waren. Während wir von einem Block zum nächsten gingen, starrten uns bei jedem Schritt mehr Jungen und Mädchen nach, gafften mit offenem Mund, denn für sie war unsere Prozession offenbar eine Art Rendezvous, etwas Bedeutsames, weit mehr als nur ein zufälliger Bummel. Es war eine Parade, eine Prozession, eine Demonstration: Die Königlichen Mädchen von Pinyudo waren stolz, mich dabeizuhaben, und das faszinierte jedermann. Wer ist das?, wunderten sich die Betrachter dieser Parade. Wer ist das da, bei den Königlichen Schwestern von Pinyudo?
Ich war es, Achak Deng. Der Frauenheld.
Ich schielte zu Moses hinüber, dem die Augen fast aus dem Gesicht fielen, wie William K amüsiert bemerkt hätte. Ich grinste und unterdrückte ein Lachen. Ich genoss jede Sekunde, doch zugleich war ich zutiefst verwirrt, und mein Körper kam mir wie eine Ansammlung fremder Gliedmaßen vor. Ich vergaß, wie man ging. Fast wäre ich über einen Schlauch gestolpert, und von da an dachte ich zu viel über meine Füße und Beine nach. Ich hob die Beine langsam, aber höher als nötig, sodass meine Knie fast den Bauch berührten. Agum bemerkte das.
– Was machst du?, fragte sie. – Machst du dich über die Soldaten lustig?
Ich lächelte verlegen.
– Achak!, sagte sie, sichtlich anerkennend. – So was tut man nicht.
Ich hörte ihr Lachen, und das lockerte meine Beine, und ich ging wieder wie ein Mensch, der die Kontrolle über seine Gliedmaßen hat. Doch bald darauf verloren meine Arme die Verbindung zum Nervensystem. Ich konnte sie nicht mehr bewegen. Sie hingen schlaff und schwer herab. Ich gab auf.
Aber es war mir egal. Ich war mit den Königlichen Nichten von Pinyudo zusammen! Wir passierten Block zehn, Block neun, die Blöcke acht, sieben, sechs und fünf, und die Mädchen stellten mir Fragen, von denen ich gehofft hatte, sie würden mir erspart bleiben.
– Wo sind deine Eltern?, wollte Agum wissen.
Ich sagte ihnen, dass ich das nicht wisse.
– Wann bist du denn von ihnen getrennt worden?
Ich erzählte ihnen eine stark verkürzte Version meiner Geschichte.
– Wann wirst du sie wiedersehen?, fragte Yar und handelte sich dafür von Agar einen Schlag auf die Schulter ein.
Ich war diese Art von Befragung satt. Ich erklärte ihnen, dass ich nicht wisse, wann oder wie ich meine Familie wiedersehen würde, und hoffte, meine Richtung Boden gemurmelte Antwort würde die Nichten veranlassen, das Thema zu wechseln. Und so war es auch.
Das Haus gehörte zu den imposantesten im Lager. Ringsherum war eine Steinmauer und ein kleiner Weg führte zur Eingangstür, drinnen gab es vier Räume, ein Wohnzimmer, eine Küche, zwei Schlafzimmer. Es war das größte Haus, das ich je gesehen hatte, seit ich meine Heimat verlassen hatte. Das war nicht so eine Hütte wie unsere in Marial Bai oder sonst wo im Südsudan. Es war ein Ziegelhaus, ein stabil wirkendes Gebäude, auf Dauer angelegt.
Als ich vor der Tür stand, bekam ich weiche Knie, und ich musste mich an die Wand lehnen, um nicht umzufallen. Die Tür ging auf.
– Hallo, Mädchen, sagte ihre Tante. Sie ragte vor uns auf, wunderschön, und sie sah aus wie ihre Nichten, nur fraulicher. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf mich. – Ist das der Junge, von dem ihr erzählt habt, der Musterschüler?
– Das ist Achak, sagte Agar und ging an ihrer Tante vorbei ins Haus.
– Hallo, Achak. Mein Mann sagt, du bist ein vorbildlicher junger Bursche.
– Danke, sagte ich.
Ich wurde hereingebeten, und man bot mir einen Stuhl an. Einen Stuhl! Seit meiner Ankunft in Pinyudo hatte ich überhaupt nur ein einziges Mal auf einem Stuhl gesessen. Bald darauf gab es Essen, eine nahrhafte und scharf gewürzte Fleischsuppe. Es gab frisches Brot und Milch. So etwas hätte ich nicht einmal zu träumen gewagt. Ich trank gerade meinen letzten Rest Milch, als Agar meine Hand fasste und mich von meinem Platz zog.
– Wir gehen jetzt lernen, sagte Agar. Und damit zerrte sie mich in das gemeinsame Zimmer der vier Mädchen. Die Tür wurde mit einem Fußtritt geschlossen, und Yar musste draußen bleiben. Sie klopfte einmal an und ging dann weg.
Ich war mit den drei älteren Mädchen allein in ihrem Zimmer. Jedes hatte ein eigenes Bett, zwei davon waren Etagenbetten. Die Wände waren weiß und mit Bildern von Meeren und Städten geschmückt. Agum und Akon setzten sich
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