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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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das Suchspiel im Zimmer der Königlichen Mädchen möglich, geschahen häufiger, wobei der Vielfalt der Experimente keine Grenzen gesetzt waren. Meine Freude über diesen speziellen Moment am Fluss, als ich den Mädchen beim Spielen im seichten Wasser zusah, wurde durch das, was als Nächstes kam, empfindlich gedämpft.
    – Zieh deine Shorts aus, Achak, sagte Agar.
    Ich stand stocksteif da, fassungslos und entsetzt.
    – Achak, warum stehst du da rum?
    – Ich lasse sie beim Schwimmen an, stammelte ich.
    – Nein, kommt nicht in Frage. Dann läufst du den ganzen Tag mit nasser Hose rum. Zieh sie aus.
    – Ich sehe euch lieber einfach nur zu, sagte ich. – Ich find’s schön hier, sagte ich und zeigte auf ein Fleckchen Sand, wo ich mich prompt hinsetzte. Ich tat mein Bestes, um den Eindruck zu erwecken, dass ich rundum zufrieden war mit allem. Ich vergrub meine Beine sogar im Sand, um eine engere Verbindung mit der Erde herzustellen und zu signalisieren, dass ein Vorstoß ins Wasser äußerst unwahrscheinlich war.
    – Komm rein, Achak!, befahl Agum.
    So ging das eine Weile. Ich beharrte darauf, die Shorts anzubehalten, und die Mädchen konnten nicht begreifen, wieso. Wieso wollte ich mit meinen guten Shorts schwimmen? Meine Strategie ging nicht auf.
    Ich brauchte eine Gelegenheit, mein Dilemma zu erklären, aber hier war nicht der Ort dafür. Ich bin nicht so wie die anderen Jungen, die ihr kennt, wollte ich sagen. Das habt ihr wohl nicht gemerkt, als ihr meine Shorts erkundet habt. In meinem Clan wurden die männlichen Angehörigen beschnitten, und ich wusste, dass das bei den Dinka aus ihrer Gegend nicht Brauch war. Ich war sicher, dass die Königlichen Nichten von Pinyudo kreischend aus dem Wasser fliehen würden, wenn sie mich sahen, den anguala – einen beschnittenen Jungen.
    Schließlich kam Agar aus dem Wasser direkt auf mich zugelaufen. Sie blieb kurz vor mir stehen, und in ihrem Grinsen lag eine deutliche Drohung. Dann zog sie mir die Shorts herunter bis zu den Knöcheln. Ich wehrte mich nicht. Es ging zu schnell, und sie waren zu wild entschlossen. Und so stand ich vor ihnen, mein Penis nackt und unverhüllt.
    Die Mädchen starrten lange darauf. Dann schalteten wir alle wieder auf normal oder taten zumindest so. Die Mädchen und ich spielten miteinander, doch während der nächsten Stunde schielten sie bei jeder Gelegenheit zwischen meine Beine, weil sie nicht verstehen konnten, was mit meinem Penis passiert war. So etwas hatten sie noch nie gesehen.
    – So sehen also die Malual-Dinka aus?, murmelte Agar.
    Agum nickte. Ich bekam das mit, tat aber so, als hätte ich nichts gehört.
    Wir spielten weiter, aber ich wusste, dass alles anders geworden war. Hinterher ging ich zurück zur Gruppe zwölf, und die Königlichen Nichten von Pinyudo kehrten zu Block vier zurück. Ich war sicher, dass ich nie wieder etwas mit ihnen zu tun haben würde. Die Elf wollte von mir jede Einzelheit hören, aber ich beschloss, nichts zu erzählen. Denn sonst würde sich die Geschichte mit Sicherheit binnen Stunden im ganzen Lager herumsprechen, und die Königlichen Mädchen würden nicht mehr als königlich gelten. Man könnte sie für Mädchen mit loser Moral halten, und es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass unter den Zehntausenden Menschen im Lager ganz bestimmt der eine oder andere Mann gewesen wäre, der nicht davor zurückgeschreckt hätte, einem der Mädchen Gewalt anzutun, selbst wenn es ihn das Leben hätte kosten können. Ich erzählte den Elf lediglich, dass ich ein köstliches Mittagessen bei den Nichten bekommen hatte und wie schön ihr Zuhause eingerichtet war. Das genügte den Jungen. Selbst diese Details beflügelten sie. In jener Nacht lag ich im Bett, durchlebte noch einmal jeden Augenblick und prägte mir alles ganz genau ein, weil ich nicht damit rechnete, je wieder mit einem der Mädchen zu sprechen.
    Doch am nächsten Tag luden sie mich wieder zum Mittagessen ein. Ich war schockiert und überglücklich und sagte sofort Ja. Ihre Einladung und unsere Freundschaft waren ein Triumph über die kleinlichen Vorurteile zwischen den Clans, zwischen den Regionen, und eine Niederlage des Kastensystems im Flüchtlingslager Pinyudo. Also kehrte ich in ihr Haus zurück, zu der Fleischsuppe, in ihr Zimmer. Noch heute kann ich jeden Gegenstand in dem Raum beschreiben, sehe jeden Kratzer im Boden vor mir, jedes Astloch im Furnier ihrer Betten – so oft war ich dort, um Verstecken zu spielen, wobei wir Gott sei

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