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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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auf das Einzelbett, sodass ich Agar allein gegenüberstand. Ich musste meine ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um mir in dem Moment nicht in die Hose zu machen. Und das war noch, ehe die Dinge passierten, die dann passierten.
    Agar nahm meine rechte Hand und sagte etwas. Die Augen von Agum und Akon ruhten auf uns. Sie schienen beide erwartungsvoll und mit dem Ablauf des nun Folgenden vertraut.
    – Jetzt spielen wir Verstecken, sagte Agar. – Zuerst musst du etwas finden, das ich hier versteckt habe.
    Agar zeigte auf ihre Brust. Ich schnappte nach Luft. Selbst wenn ich jetzt daran denke, kann ich noch immer nicht fassen, dass es wirklich passiert ist, dass ich für diese Experimente ausgewählt wurde. Aber es hat sich genauso ereignet, wie ich es schildere, und als Nächstes sprach sie die Worte aus, die ich noch heute höre, wenn ich die Augen schließe und meinen Kopf zur Ruhe bette.
    – Du musst danach suchen. Mit deiner Hand.
    Ich blickte Hilfe suchend zu den anderen Mädchen hinüber. Sie nickten mir zu. Sie steckten alle unter einer Decke! Ich hatte das Gefühl, ebenso wenig in der Lage zu sein, meine Hand unter ihre Bluse zu schieben, wie ich fähig gewesen wäre, aus Ohrenschmalz Feuer zu machen. Ich stand da und grinste dümmlich. Mein Nervensystem hatte die Arbeit eingestellt.
    – Hier!, sagte Agar, nahm mit raschem Griff meine Hand und schob sie unter ihre Bluse.
    Kann ich bis heute die Wärme ihrer Haut spüren? Und ob! Ihre Haut war sehr warm und straff wie eine Trommel, mit einem ganz dünnen Schweißfilm bedeckt. Ich spürte ihre heiße Haut und hielt die Luft an. Ihre Haut ließ mich erschauern. Sie fühlte sich nicht anders an als meine eigene oder die der Jungen, aber trotzdem hatte ich das Gefühl, gleich zu platzen.
    – Du musst suchen!
    Ich zwang meine Hand zu einer flüchtigen Erkundung von Agars Oberkörper. Ich wusste nicht, was was war. – Okay. Das war schon nicht schlecht, sagte sie. – Ich glaube, du hast es gefunden.
    – Jetzt müssen wir was bei dir finden, sagte Agum.
    – Ich glaube, es ist da drin, sagte Agar und zeigte auf meine Shorts.
    Was jetzt geschah, ging einen Schritt weiter, und ich konnte nicht hinsehen. Während sie hineingriffen und herumtasteten, starrte ich über Agars Schulter hinweg die Wand an und fragte mich, ob Gott mich auf der Stelle bestrafen würde oder erst im Verlauf des Tages.
    Binnen Sekunden hatten alle drei Mädchen nach dem versteckten Ding in meinen Shorts gesucht, und als sie meinten, es gefunden zu haben, erklärten sie, es sei jetzt etwas unter ihren Röcken versteckt, wonach ich suchen solle. Ich tat wie geheißen und suchte zuerst unter Agars Rock, dann unter Akons. Agum beschloss aus unerfindlichen Gründen, dass unter ihrem Rock nichts versteckt war.
    Irgendwann erklärten sie, dass wir schwimmen gehen würden. Die Mädchen holten ihre Handtücher und auch eins für mich. Ich heuchelte Begeisterung über den Einfall, aber während wir zum Fluss gingen, packte mich die Panik. Ich machte mir wegen einer Sache Sorgen, doch dann fand ich eine Lösung und dachte nicht weiter daran. Die Mädchen führten mich zu einem versteckten Teil des Flusses, zu einer schattigen Biegung, und dort streifen sie rasch ihre Kleidung ab und waren fast nackt. Die drei Königlichen Nichten standen in ihrer Unterwäsche im flachen Wasser. Meine Kehle fühlte sich so trocken an wie während der Wanderung durch die Wüste. Das alles war so außergewöhnlich. In Marial Bai, vor dem Krieg, wäre dergleichen undenkbar gewesen, niemals wäre ein Junge meines Alters – acht vielleicht oder neun oder gar zehn Jahre alt – aufgefordert worden, in Begleitung dreier Mädchen wie dieser nackt im Fluss zu schwimmen. Aber hier war alles anders, und was ich in dieser Situation empfand, war zutiefst widersprüchlich. Hätte ich erduldet, was ich erduldet hatte, hätte ich mein Dorf verlassen, um so weit zu wandern, wie ich gewandert war, hätte ich mit angesehen, wie Jungen starben, wäre ich über die kreideweißen Gebeine von Rebellensoldaten gestiegen, wenn ich gewusst hätte, dass dies mein Lohn sein würde? Wäre es das wert gewesen? Denn die Wahrheit ist, dergleichen wäre in meinem Dorf vermutlich niemals passiert. Dort waren die Regeln strenger, und überall waren die Blicke auf einen gerichtet. Doch in diesem Flüchtlingslager in Äthiopien, während in unserem Land Krieg herrschte und wir von so vielen Sitten und Gebräuchen losgelöst waren, wurden solche Dinge wie

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