Weit Gegangen: Roman (German Edition)
Katastrophenmanagement zu unterrichten, aber es gelang ihr auch, eine ganze Marschkapelle aus Flüchtlingen mit Uniformen und Instrumenten auszustatten und einen Teilzeitlehrer mit dem Spezialgebiet Holzblasinstrumente zu engagieren. Als das Projekt begann, schickten sie einen ihrer Mitarbeiter nach Kakuma, einen jungen Mann von vierundzwanzig Jahren namens Noriyaki Takamura, der für mich einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben wurde und von dem ich lernen sollte, jemanden zu lieben, der zart und sehr weit weg war.
Bald nach Beginn des Projektes wurde ich Noriyakis rechte Hand. Ich arbeitete seit zwei Jahren für das Projekt Jugend und Kultur und war bei den sudanesischen Jugendlichen und den humanitären Helfern im Camp bekannt. Es schien unproblematisch, mir diesen Posten zu geben, doch meine Ernennung wurde von den Kenianern nicht gerade freundlich aufgenommen, die den Job, wie wir vermuteten, lieber mit jemandem aus ihren Reihen besetzt gesehen hätten. Mir war das egal, und ich nahm den Job gerne an, da er eine bessere Bezahlung und sogar ein Büro mit sich brachte. Ein Sudanese, der in einem Büro arbeitete, man stelle sich das vor! Wir bekamen ein schmales Büro auf dem UN-Gelände zugewiesen, ausgestattet mit einem Satellitentelefon und zwei Computern. Einen hatte Noriyaki mitgebracht und einen bestellte er für mich, und zwar gleich am ersten Tag unserer Zusammenarbeit.
– Da wären wir also, Dominic, sagte er.
Wie ich schon sagte, der Name Dominic hatte uns alle im Griff.
– Ja, Sir, sagte ich.
– Ich bin kein Sir. Ich bin Noriyaki.
– Ja. Verzeihung.
– Und? Freust du dich?
– Ja, Sir.
– Noriyaki.
– Ja. Ich weiß.
– Also, wir brauchen einen Computer für dich. Hast du schon mal an einem Computer gearbeitet?
– Nein. Ich habe gesehen, wie Leute damit arbeiten.
– Kannst du tippen?
– Ja, log ich. Ich weiß nicht, warum ich mich dafür entschied zu lügen.
– Wo hast du Tippen gelernt? Auf einer Schreibmaschine?
– Nein, Verzeihung. Das war ein Missverständnis. Ich kann nicht tippen.
– Du kannst nicht tippen?
– Nein, Sir.
Noriyaki atmete so lange aus, als hätte er drei Lungenflügel.
– Nein, aber ich werde es versuchen.
– Wir müssen dir einen Computer besorgen.
Noriyaki begann umherzutelefonieren. Eine Stunde später hatte er sein Projektbüro in Nairobi erreicht und einen Laptop für mich bestellt. Ich glaubte nicht, dass der Computer es je nach Kakuma oder bis zu mir schaffen würde, aber ich war Noriyaki dankbar für die Geste.
– Danke, sagte ich.
– Keine Ursache, sagte er.
An diesem Tag taten wir kaum etwas anderes, als über seine Freundin zu Hause zu sprechen, deren Foto auf seinem Schreibtisch stand. Noriyaki hatte das Foto gerade ausgepackt. Sie trug darauf ein weißes T-Shirt und weiße Shorts und hatte einen Tennisschläger in der Hand. Ihr Lächeln war klein und tapfer, als trotze es den Tränen, die gerade erst auf ihrem Gesicht getrocknet waren.
– Sie heißt Wakana, sagte er.
– Sie sieht sehr nett aus, sagte ich.
– Wir sind verlobt.
– Oh gut, sagte ich. Ich hatte gerade erst aus einem meiner englischen Texte erfahren, dass es unhöflich war, in so einer Situation Glückwunsch zu sagen.
– Es ist noch nicht offiziell, sagte er.
– Oh. Werden Sie heimlich heiraten?
– Nein, wir werden eine richtige Hochzeit haben. Aber ich muss persönlich um ihre Hand anhalten.
Ich wusste nicht, wie solche Dinge in Japan abliefen, und hatte nur eine vage Vorstellung davon, wie Ehen in der westlichen Welt funktionierten.
– Wann werden Sie das tun?, fragte ich.
Ich war unsicher, wie viele Fragen ich zu dem Thema stellen durfte, aber Noriyaki schien es in keiner Weise als aufdringlich zu empfinden.
– Wenn ich nach Hause komme, denke ich. Ich kann sie nicht dazu bringen, mich hier zu besuchen.
Wir saßen einen Moment lang da und starrten das Bild an, das traurige Lächeln der jungen Frau.
Schon an jenem ersten Tag vermisste ich Noriyaki. Ich hatte nicht bedacht, dass er Kakuma eines Tages wieder verlassen würde, obwohl ich durchaus wusste, dass außer den Kenianern niemand in Kakuma blieb, und selbst die blieben höchstens ein paar Jahre. Noriyaki wurde gleich am ersten Tag mein Freund, aber er war nicht nur mein Freund. Alle mochten Noriyaki. Er war viel kleiner als alle sudanesischen Männer, die ich kannte, aber er war athletisch, sehr schnell und in jedem Ballsport gut, der in Kakuma betrieben wurde. Er machte bei
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