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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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minderwertige Menschen halten. Denkt daran: Am Ende zielt ihr Plan darauf ab, das ganze Land zu einem islamischen Staat zu machen. Sie wollen uns alle zwangsbekehren. Und sie sind schon dabei, Schritt für Schritt. Drei Viertel des Landes sind bereits muslimisch. Ihr Ziel ist zum Greifen nahe. Also vergesst nicht: Wir brauchen die Unabhängigkeit, sonst werden wir als Volk aufhören zu existieren. Sie werden alle unterwerfen, die sie unterwerfen können, und die Übrigen töten. Wir können nicht mit ihnen vereint sein, und wir können ihnen niemals vertrauen. Nie wieder. Versprecht ihr mir das?
    Wir nickten.
    – Und nun kämpft gegen diese Ungeheuer!, schrie er. – Ich flehe euch an.
    Am selben Abend meldeten sich zwölf weitere Freiwillige. Zehn von ihnen brachen am Donnerstag mit der SPLA auf, zusammen mit weiteren vierzehn, die nicht auf der Versammlung gewesen waren – überwiegend Söhne, Brüder und Vettern von SPLA-Offizieren. Ich kann nicht behaupten, dass ich damals je ernsthaft in Erwägung zog, mich der SPLA anzuschließen. Ich hatte im Camp meine Aufgaben, meine Theaterprojekte und Miss Gladys, aber Achor Achor war zwei Tage lang innerlich aufgewühlt und kam jeden Abend zu mir, damit ich ihm half, seine Gedanken zu ordnen.
    – Ich denke, ich muss gehen. Oder?, fragte er.
    – Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob das irgendwas ändert, sagte ich.
    – Du denkst, der Krieg kann nicht gewonnen werden.
    – Ich weiß es nicht. Er dauert schon so viele Jahre. Ich weiß nicht mal, ob es jemand merken würde, wenn wir den Krieg gewinnen würden. Woran würden wir das merken?
    – Daran, dass wir die Unabhängigkeit erhalten.
    – Denkst du wirklich, dass es je dazu kommt?
    Diesem Gedanken hingen wir eine Weile nach.
    – Ich denke, ich muss gehen, sagte er. – Ich sollte in diesem Krieg kämpfen. Ich bin aus Aweil. Wenn ich nicht zurückgehe und kämpfe, wer soll es dann tun?
    – Sie werden dich nicht in Aweil stationieren.
    – Dann besorge ich mir selbst ein Gewehr und gehe zurück nach Aweil.
    – In Aweil wird niemand sein. Da wird keiner mehr sein.
    – Kommandant Santo hat gesagt, die SPLA ist jetzt anders.
    – Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Aber schau dich doch an. Du hast nie in deinem Leben gekämpft. Du trägst jetzt eine Brille. Wie willst du schießen, wenn deine Brille kaputtgeht?
    Ich glaubte eigentlich nicht, dass ihn dieses Argument überzeugen würde, aber weit gefehlt. Es überzeugte ihn sofort, und das war das Ende von Achor Achors militärischer Laufbahn. Ich bin ziemlich sicher, dass er nur nach einem guten Grund suchte, nicht zu gehen, nach einer Antwort, die er geben konnte, wenn und falls er je gefragt wurde. Er sprach nie wieder von der SPLA.
    Ich will nicht taktlos sein, aber es muss darauf hingewiesen werden, dass wir die Pubertät gerade erst hinter uns hatten und einige Jüngere in der Klasse sich noch an die hormonelle Umstellung und ihre gewachsene Aufmerksamkeit für das andere Geschlecht gewöhnen mussten. Somit sorgte das, was Miss Gladys als Nächstes tat, unter uns jungen Männern für Aufruhr, und das zu einer Zeit, in der es bereits genug körperliche Aufwallungen gab. In jüngster Zeit waren in meiner Unterwäsche und den Achselhöhlen die ersten kleinen Haarbüschel entstanden. Ich war später dran als viele andere Jungen, aber wie man uns sagte, entwickelten wir uns alle verspätet, und die Gründe dafür waren das Trauma, das wir erlitten hatten, und unsere anhaltende Unterernährung. Doch in dieser Phase unserer Entwicklung übte Miss Gladys einen ungemein starken Einfluss auf uns aus. Mit ihrer offenen und selbstbewussten Sexualität war sie der ständige Zündfunke für alles Entflammbare in uns. Es reichte vollkommen aus, sie zweimal wöchentlich in der Theatergruppe zu sehen, aber als sie auch noch unseren Geschichtsunterricht übernahm, trieb sie es zu weit.
    – Ah, Dominic! Schön, dich zu sehen!, sagte sie.
    Es war das Schuljahr, in dem sie mit der Napata-Theatergruppe begann. Man hatte uns nicht gesagt, dass wir eine neue Geschichtslehrerin bekommen würden. Ihr Vorgänger, ein Kenianer namens George, hatte einen fähigen Eindruck gemacht und nichts davon gesagt, dass er aufhören würde.
    – Sie unterrichten diese Klasse?, fragte ich.
    – Das klingt ja, als wärst du enttäuscht, mich zu sehen, sagte sie mit gespielt beleidigtem Unterton.
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ihre Anwesenheit in Napata war verkraftbar, weil ich meine

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