Weit Gegangen: Roman (German Edition)
spontanen Fußballspielen mit, bei Volleyball und Basketball. Er schien das Netz am Basketballkorb einmal die Woche zu ersetzen, immerzu schaffte er es, neue weiße Nylonnetze zu beschaffen. Und weil er ständig das Netz ersetzte, war allen klar, dass die Netze verschwanden, um in Kakuma Town verkauft zu werden, weil ja jeder wusste, dass ein untersetzter Japaner sie ersetzen würde, ein Japaner, dessen Namen alle kannten, aber kaum jemand aussprechen konnte.
– Noyakii!
– Noki!
Von Anfang an war Noriyaki meistens bei den Sudanesen im Lager, spazierte die Wege entlang und fragte, was wir brauchten. Er aß mit den Flüchtlingen, bewegte sich unter ihnen. Wenn er im Auto unterwegs war, hielt er an und nahm jeden mit, der mitwollte, bis sein Pick-up voll mit lächelnden Passagieren war, die Noriyaki mochten, ganz gleich, wie man seinen Namen aussprach.
– Nakayaki!
– Norakaka!
Das alles war Noriyaki egal, der mit einem schüchternen Grinsen durch Kakuma ging und froh war, weil er einer sinnvollen Arbeit nachging und weil er, so stelle ich es mir vor, ganz genau wusste, dass in Kyoto eine sehr schöne junge Frau auf ihn wartete.
Eine Woche nachdem Noriyaki angekommen war und den Computer für mich bestellt hatte, geschah etwas Interessantes: Der Computer kam an. An jenem Tag brachte ein Flugzeug eine Lieferung aus Nairobi, hauptsächlich medizinischer Notfallbedarf, aber bei dem Transport war auch eine vollkommen rechteckige Kiste, und diese Kiste enthielt den Laptop, der für mich bestellt worden war. In Kakuma kam es selten vor, dass eine Kiste so akkurat geformt war, so glatte Kanten hatte, aber da stand sie, auf dem Boden im Büro, und Noriyaki grinste mich an, und ich lächelte zurück. Ich lächelte immer zurück, wenn ich Noriyaki ansah, es wäre mir schwergefallen, es nicht zu tun.
Die Kiste kam an, als wir beide gerade im Büro unseren Lunch aßen. Und als Noriyaki sie für mich öffnete – ich traute mich nicht, weil ich Angst hatte, sie zu beschädigen –, hätte ich Noriyaki am liebsten umarmt oder ihm wenigstens die Hand geschüttelt, was ich auch tat, mit atemloser Begeisterung.
Noriyaki öffnete zwei Dosen Fanta, und wir stießen auf die Ankunft des Computers an. Mit Fanta anzustoßen wurde für uns zur Tradition, und an jenem Tag tranken wir unsere Fantas langsam, während wir nach unten auf die Kiste und ihren sensationellen Inhalt blickten, der noch immer in Plastik eingepackt und mit schwarzem Schaumstoff ummantelt war. Dieser Laptop war ungefähr zehnmal so viel wert wie alles, was ich und alle meine Kakuma-Geschwister zusammen besaßen. Dass mir ein solches Gerät anvertraut wurde, erfüllte mich mit einem Gefühl der Kompetenz, wie ich es nicht mehr gehabt hatte, seit ich als ungefähr Sechsjähriger das chinesische Gewehr meines Vaters hatte halten dürfen. Ich dankte Noriyaki erneut und tat dann so, als wüsste ich, wie man einen Computer bedient.
– Nimm ihn zum Üben mit nach Hause, sagte Noriyaki schließlich.
– Wohin?
– Nimm ihn mit nach Hause, zum Üben.
In den Tagen, nachdem der Laptop gekommen war, hatte Noriyaki natürlich gemerkt, dass ich keine Ahnung hatte. Am ersten Tag brauchte ich eine Stunde, um herauszufinden, wie man das Gerät einschaltete. Als ich es schließlich geschafft hatte, konnte ich nur im Schneckentempo tippen, und meine Arbeit wurde zusätzlich erschwert, weil mir vor Nervosität der Schweiß von der Stirn und den Armen und Fingern auf die Tastatur tropfte. Das alles machte es schier unmöglich, richtig zu lernen, geschweige denn zu arbeiten.
– Wir schicken dich zur Fortbildung, sagte er. – Du kannst einen Computerkurs besuchen.
– Wo denn?
– In Nairobi. Wir schreiben das in den Etat.
Noriyaki war ein Zauberer. Nairobi! In den Etat schreiben! Ich verstand nicht, warum Noriyaki nach Kakuma gekommen war und warum er in Kakuma blieb, zumal wo er doch eine Familie und eine Freundin in Japan hatte. Lange Zeit versuchte ich herauszufinden, was genau mit ihm nicht stimmte, was ihn daran gehindert haben mochte, in Japan eine richtige Arbeit zu finden. Was konnte ihn veranlasst haben, so weit zu reisen, um einen derart schlecht bezahlten und schwierigen Posten zu übernehmen wie den, den er hier bei uns hatte? Aber ich wusste, wie tüchtig Noriyaki war, daher war nicht anzunehmen, dass er gezwungen gewesen war, einen Job in einem Flüchtlingslager anzunehmen. Er konnte mit dem Computer umgehen, war sympathisch und verstand sich prima mit den
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