Weit Gegangen: Roman (German Edition)
Menschen von Marial Bai, darunter auch Kommandant Paul Malong Awan, dem höchstrangigen SPLA-Offizier dort.
Alle Anwesenden blickten mich an, als sei es insbesondere für mich eine große Ehre, dass Kommandant Paul Malong Awan seine Grüße geschickt hatte.
– Ja, fuhr sie fort, – ich war in eurem Dorf, und ich habe gesehen, was daraus geworden ist. Natürlich hatte es Überfälle der Murahilin und der Regierungsarmee erlebt. Und aufgrund dieser Überfälle waren die Menschen dort unterernährt und es hat eine ganze Reihe von Todesfällen gegeben, die durch harmlose Krankheiten ausgelöst wurden. Wie ihr wisst, hat die Hungersnot ihren Höhepunkt erreicht. In diesem Jahr werden Hunderttausende im Bahr al-Ghazal verhungern.
Sudanesische Redekunst auf höchstem Niveau: der umständlichste Weg zum Ziel. Wie konnte sie mir das antun? Ich wollte nur etwas über meine Familie erfahren. Es war grausam, ganz gleich, wie gut ihre Absichten sein mochten.
Meine Anspannung musste wohl zu spüren gewesen sein, denn in dem Moment erschien eine Gestalt vor mir und nahm dann den Platz neben mir ein. Es war Miss Gladys, mit ihrem Duft nach Früchten und Blumen und weiblichem Schweiß, und ehe ich die neue Situation richtig einschätzen konnte – so nah war sie mir noch nie gewesen –, hielt sie auch schon meine Hand. Sie sah mich nicht an, hielt die Augen auf Deborah Agok gerichtet, aber sie war bei mir. Sie würde da sein, wie auch immer die Neuigkeiten lauteten. Der Zeitpunkt für diesen intimen Kontakt mit dem Objekt meiner zahllosen Tagträume hätte besser nicht sein können.
– Da ich selbst Hebamme bin, sprach Deborah weiter, und ich versuchte, ihr zuzuhören, – lernte ich in Marial Bai eine Hebamme kennen, eine sehr starke Frau, die meistens ein blassgelbes Kleid trug, wie die Farbe einer müden Sonne.
Wieder ruhten alle Blicke auf mir, und ich gab mir allergrößte Mühe, meine Tränen zu unterdrücken. Ich wurde mit aller Macht in zwei entgegengesetzte Richtungen gezogen. Meine Hand, von den Fingern dieser göttlichen Frau an meiner Seite umschlungen, war bereits schweißnass, und gleichzeitig hatten meine Ohren gehört, dass meine Mutter vielleicht noch lebte, dass Deborah einer Hebamme begegnet war, die ein gelbes Kleid trug. Meine Augen waren nass, ehe ich es verhindern konnte. Mit der freien Hand zog ich an der Haut unter den Augen, um das Wasser zurück in meinen Körper fließen zu lassen.
– Diese Hebamme und ich verbrachten sehr viel Zeit miteinander und tauschten Geschichten aus, wie wir Babys in diese Welt geholt hatten. Sie hatte bei über hundert Geburten geholfen und den frühzeitigen Tod dieser Kinder erfolgreich verhindern können. Ich erläuterte ihr die Fortschritte in der Wissenschaft und Kunst der Geburtshilfe, und sie lernte sehr rasch und bereitwillig. Wir wurden schnell gute Freundinnen, und sie lud mich zu sich nach Hause ein. Als ich dort ankam, bereitete sie mir das Gericht zu, das wir heute Abend hier in Kakuma gegessen haben, und sie erzählte mir vom Leben in Marial Bai, von den Auswirkungen der Hungersnot für das Dorf, von den letzten Überfällen der Murahilin. Ich berichtete ihr von der Welt in Kakuma, und als ich von meinem Leben hier erzählte, erwähnte ich meinen guten Freund Gop und Ayen und die Jungen, die sie aufgenommen hatten. Als ich den Namen Achak erwähnte, erschrak die Frau. Sie fragte, wie dieser Junge aussah. Wir groß ist er?, fragte sie. Sie erzählte mir, dass sie vor langer Zeit einen Jungen dieses Namens gekannt hatte. Sie fragte, ob ich einen Moment warten würde, und als ich das bejahte, lief sie eilig aus dem Haus.
Jetzt hielt Miss Gladys meine Hand noch fester.
– Sie kehrte mit einem Mann zurück, den sie mir als ihren Ehemann vorstelle, und er erklärte, dass sie seine erste Frau sei. Sie bat mich, das zu wiederholen, was ich ihr erzählt hatte, dass ich in Kakuma eine Familie kannte, die einen Jungen namens Achak adoptiert hatte. Wie ist der Name des Mannes im Lager?, fragte der Ehemann. Ich sagte ihm, sein Name sei Gop Chol Kolong. Das fand der Mann sehr interessant, und er beteuerte, dass dieser Mann ebenfalls aus Marial Bai sei. Aber sie konnten nicht mit Sicherheit sagen, ob es sich bei dem Achak, den ich in Kakuma kannte, um denselben Achak handelte, der ihr Sohn war. Erst als ich nach Kenia zurückkehrte und Gop diese Geschichte erzählte, wurde alles klar. Daher muss ich jetzt ein paar Fragen stellen, um letzte Klarheit zu erhalten. Wie
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