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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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Kühlschrank, ich küsste jede Tür, viele Kissen und alle Sofapolster, nur um das Gefühl irgendwie wieder heraufzubeschwören.
    Ich hätte mir Gedanken um Tabitha machen sollen, ob sie zur Probe erscheinen würde oder nicht, aber ich hatte den Vorabend noch nicht verkraftet. Als Tabitha am Nachmittag ins Theater kam, war ich so verzückt von den Erinnerungen an unseren Kuss, dass ich kaum die echte Tabitha wahrnahm, die mich bewusst ignorierte. Irgendwann in der Nacht hatte sie beschlossen, wieder wütend auf mich zu sein. Sie sollte noch wochenlang schmollen.
    Am Abend unserer Vorstellung war das Theater voll. Es traten achtzehn verschiedene Gruppen aus ganz Kenia auf. Wir waren die einzige Truppe von Flüchtlingen. Ich danke dem Herrn, dass wir an dem Abend gut spielten: Keiner von uns vergaß seinen Text, und irgendwie schafften wir es unter den Scheinwerfern, vor all den Menschen, in den Worten und der Handlung des von uns geschriebenen Stücks gegenwärtig zu sein. Wir waren gut, wir wussten, dass wir gut waren. Am Ende jubelte das Publikum, und einige Leute spendeten sogar im Stehen Applaus. Unsere Gruppe belegte den dritten Platz. Mehr hätten wir uns nicht wünschen können.
    Hinterher gab es ein Festessen, und dann gingen wir alle mit unseren Betreuern nach Hause. Noch während wir unterwegs waren, war mir mein innerer Kampf am Gesicht abzulesen.
    – Was hast du denn?, fragte Grace. – Du siehst aus, als hättest du was Verdorbenes gegessen.
    Ich sagte, es sei nichts, aber ich war völlig fertig. Ich wusste, dass ich nur noch diesen Abend hatte, um mit Mike und Grace über die Möglichkeit zu sprechen, mich dauerhaft aufzunehmen.
    Doch ich sprach Grace nicht darauf an, und ich sagte zu keinem der beiden etwas, als sie sich bettfertig machten. Grace ging schlafen und Mike auch, aber dann kam er zurück ins Wohnzimmer. – Konnte nicht einschlafen, sagte er.
    Wir saßen in der Nacht noch stundenlang auf der Couch und sahen fern, und während ich ihm Fragen zu dem Film stellte, den wir uns ansahen – Wer sind die Männer mit den geschwungenen Hüten? Wer sind die Federn tragenden Frauen? –, dachte ich immer nur an eines, Konnte ich das? Konnte ich ihn wirklich um so etwas bitten? Ich konnte Mike nicht um so etwas bitten. Es war zu viel verlangt, das wusste ich. Mike war zu beschäftigt, um sich mit einem Flüchtling zu belasten. Aber andererseits, dachte ich dann, könnte ich ihm eine große Hilfe sein. Ich würde so vieles machen können, um meinen Unterhalt zu verdienen. Ich könnte kochen und putzen und bestimmt viele Arbeiten im Theater übernehmen. Ich war zuverlässig, das hatte ich bewiesen, und ich war beliebt, und ich könnte nach den Vorstellungen das Theater putzen oder vorher, ehe es aufmachte. Ich könnte eines von beidem oder beides tun, und hinterher könnte ich nach Hause kommen und für Mike und Grace das Bett beziehen. Bestimmt wusste Mike, was ich alles bereit wäre zu tun. Er wusste, dass ich bereit wäre, für Unterkunft und Verpflegung zu arbeiten, dafür zu sorgen, dass es sich als Vorteil erwies, mich bei sich zu haben.
    Ich verfluchte meine Dummheit. Mike brauchte und wollte niemanden, der ihm bei alldem half. Er wollte ein junger Mann sein, unbelastet von der Misere eines schlaksigen sudanesischen Teenagers. Es war seine gute Tat gewesen, mich eine Woche aufzunehmen, und das war genug. Wenn meine Mutter wüsste, dass ich auch in Erwägung zog, mich jemandem so aufzudrängen, würde sie sich furchtbar schämen.
    – So, für mich ist der Abend zu Ende, sagte er und stand auf.
    – Okay, sagte ich.
    – Bleibst du wieder auf?, fragte er. – Ich frage mich, wann du mal schläfst.
    Ich lächelte und öffnete den Mund. Ein Schwall von Worten, von unterwürfigen und bedürftigen Worten, war so dicht davor, meinen Mund zu verlassen. Aber ich sagte nichts.
    – Gute Nacht, sagte ich. – Eure Gastfreundschaft hat mir viel bedeutet.
    Er lächelte und ging zu Bett, um sich zu Grace zu legen.
    Am nächsten Morgen fuhren wir alle nach Hause, alle Flüchtlinge aus Kakuma. Alle waren müde. Ich war nicht der Einzige, der Geschmack am Fernsehen gefunden hatte. Ich saß nicht neben Tabitha und sprach auch während der gesamten Rückfahrt nicht mit ihr. Das war gut so. Ich ertrank in so vielen Gedanken und brauchte eine Pause von ihr, von jeder Erinnerung an die Entscheidungen, die ich nicht getroffen hatte. Ich legte meinen Kopf an die Scheibe und versuchte, alles wegzuschlafen. Diesmal

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