Weit Gegangen: Roman (German Edition)
Menschen auszunutzen und über Gebühr zu strapazieren.
Aber in einigen schwächeren Momenten dachte ich, Ich könnte ihn doch fragen, oder? Ich könnte ihn am Abend vor meiner Abreise fragen. Was sprach dagegen? Falls er nein sagte und eine peinliche Situation entstand, wäre sie nicht von langer Dauer.
Also schmiedete ich einen Plan. Bis zum letzten Tag würde ich mich unbekümmert und fröhlich geben und zeigen, wie nett ich war, und dann, am letzten Abend würde ich Mike gegenüber erwähnen, dass ein junger Mann wie ich in Nairobi durchaus nützlich sein könnte und in der Lage wäre, fast alles für Mike und Grace und die Mavuno Drama Group zu tun.
Nach der Probe sagten Mike und Grace, sie wollten mich zusammen mit einem Freund oder einer Freundin in ein chinesisches Restaurant einladen. Ich entschied mich für Tabitha, machte mich aber darauf gefasst, dass meine Wahl als unschicklich abgelehnt würde. Aber da es in Kenia nicht unüblich war, dass junge Leute wie Tabitha und ich zusammen ausgingen, empfingen Mike und Grace sie mit offenen Armen. Meine Wahl hatte sie neugierig gemacht, glaube ich, denn während wir Tabitha abholen gingen, stellten sie viele Fragen. Welche war sie noch mal? Haben wir sie gestern gesehen? Hat sie Rosa getragen?
Wir aßen in einem Restaurant mit sauberem Fliesenboden und Bildern ehemaliger kenianischer Würdenträger an den Wänden. Tabitha und ich aßen Lamm mit Gemüse und tranken Limonade. In den wenigen Tagen legte ich erstaunlich schnell an Gewicht zu, wie alle anderen auch. Wir hatten noch nie so gut gegessen. Während des gesamten Essens beobachteten Mike und Grace uns mit einem traurigen Lächeln, und als wir satt waren und nicht mehr von unserem Essen abgelenkt wurden, merkten Mike und Grace, dass wir verliebt ineinander waren, da bin ich sicher. Sie blickten von Tabitha zu mir und wieder zurück und schmunzelten vielsagend.
Nach dem Essen gingen wir in ein Einkaufszentrum, vier Stockwerke hoch und voller Geschäfte und Menschen, sehr viel Glas, ein Kino. Tabitha und ich taten so, als sei uns dergleichen vertraut, und versuchten, nicht allzu beeindruckt auszusehen.
– Gott, sind wir müde, sagte Grace und gähnte übertrieben. Mike lachte und drückte ihre Hand. Er blieb vor einem Fotoladen stehen. Ein dickbäuchiger Mann kam heraus, und er und Mike und Grace begrüßten einander herzlich.
– Okay, sagte Mike zu Tabitha und mir. – Ich schätze, ihr zwei würdet gern ein bisschen Zeit allein verbringen, und wir wollen es euch erlauben. Aber zuerst müssen wir etwas vereinbaren. Das hier ist mein Freund Charles.
Der dickbäuchige Mann nickte uns zu.
– Er arbeitet bis zehn Uhr. Ihr dürft hier unbeaufsichtigt im Einkaufszentrum bleiben, aber um zehn Uhr müsst ihr wieder bei Charles im Laden sein. Er macht dann zu und bringt euch beide nach Hause.
Es war ein sehr guter Vorschlag, fanden wir, daher willigten wir augenblicklich ein. Mike gab mir ein paar Shilling und zwinkerte mir verschwörerisch zu. Mit dem Geld in der einen Hand und Tabithas Hand in der anderen, war ich sicher, den schönsten Augenblick meines Lebens zu erleben. Tabitha und ich hatten fast zwei Stunden für uns allein, und es spielte keine Rolle, dass wir im Einkaufszentrum bleiben mussten.
– Seid um zehn wieder hier, sagte Charles mit Blick auf Tabitha.
– Kommt ihr klar?, fragte mich Mike.
Ja, Sir, sagte ich. – Ihr könnt uns vertrauen.
– Wir vertrauen dir, sagte er und zwinkerte mir noch einmal zu.
– Nun geht schon, ihr seid frei!, sagte Grace und schob uns mit dem Rücken ihrer kleinen Hand weg.
Mike und Grace verließen das Einkaufszentrum, und Charles kehrte zu seinen Filmentwicklungsgeräten zurück. Tabitha und ich waren allein und die Möglichkeiten schier grenzenlos. Ich fing an, darüber nachzudenken, wo der beste Platz sein könnte, um sie an mich zu ziehen, ihr Gesicht in den Händen zu halten. Gop hatte mich instruiert, das Gesicht einer Frau in die Hände zu nehmen, wenn ich sie küsste, und ich war entschlossen, es genauso zu machen.
Ich kannte mich in dem Einkaufszentrum absolut nicht aus, aber ich war geistesgegenwärtig genug, um zu wissen, dass ein Mann in solchen Augenblicken entschlussfreudig wirken muss, also führte ich Tabitha zuerst zwei Stockwerke höher und hinein in das größte und hellste Geschäft von allen, ohne zu wissen, was das für ein Laden war. Als ich schließlich merkte, dass es ein Supermarkt war, konnte ich mich nicht mehr
Weitere Kostenlose Bücher