Weit Gegangen: Roman (German Edition)
hineinfliegen. Keiner von uns konnte sicher sein, ob wir die Erde je wiedersehen würden. Von Afrika aus in einem Flugzeug über den Ozean zu fliegen, mit einer Stadt als Ziel, in der Flugzeuge in Gebäude flogen? Es ging nicht bloß um ein Land im Krieg. Wir ließen alles, was wir kannten oder zu kennen glaubten, hinter uns. Jeder von uns hatte nur einen kleinen Beutel mit Habseligkeiten, überhaupt kein Geld, keine Familie, zu der wir konnten. Diese Reise war ein waghalsiger Glaubensakt.
Es war dunkel in unserem kleinen Raum, der Deckenventilator stand still. Der Jüngste von uns, ein junger Mann namens Benjamin, hatte sich zur Wand gedreht, war wach und zitterte.
– Hab keine Angst, sagte ich zu ihm.
Ich war der Älteste der Gruppe und fühlte mich dafür verantwortlich, ihn zu beruhigen.
– Bist du das, Valentino?, fragte er.
– Ja. Du sollst dich heute Nacht nicht fürchten, Benjamin. Oder morgen.
Die Männer im Raum murmelten zustimmend. Ich schlüpfte nach unten zu Benjamins Etagenbett. Jetzt, wo ich ihn aus der Nähe sah, wirkte er nicht älter als zwölf.
– Schon jetzt haben wir mehr gesehen, als die meisten unserer Vorfahren. Selbst wenn wir auf dem Flug verloren gehen, sollten wir dankbar sein, Benjamin. Erinnerst du dich an den Flug nach Nairobi? Wir mussten alle Fenster verdunkeln, weil es so hell war. Wir haben die Erde vom Himmel aus gesehen, wir haben die Lichter Nairobis gesehen und alle Menschen dieser Erde, die dort durch die Straßen gehen. Das ist mehr, als unsere Vorfahren sich hätten träumen lassen.
Benjamins Atem wurde langsamer, und die Männer im Raum pflichteten mir bei. Ermutigt sprach ich weiter mit Benjamin und den Schatten der anderen Männer. Ich sagte ihnen, die Irrtümer, die Dinka vor uns begangen hätten, lägen in der Zaghaftigkeit unseres Volkes begründet, wir hätten immer das gewählt, was wir vor uns sahen, anstatt zu wählen, was hätte sein können. Unser Volk, sagte ich, ist jahrhundertelang für seine Fehler bestraft worden, aber jetzt bekommen wir die Chance, all das zu beheben. Wir sind geprüft worden, wie niemand zuvor geprüft worden ist. Wir waren schon einmal ins Unbekannte geschickt worden und dann wieder und wieder. Wir waren hin und her geworfen worden, wie Regentropfen im Wind eines hysterischen Gewitters.
– Aber wir sind keine Regentropfen mehr, sagte ich, – wir sind keine Samenkörner mehr. Wir sind Männer. Jetzt können wir aufstehen und Entscheidungen treffen. Das hier ist unsere erste Chance, unser eigenes Unbekanntes zu wählen. Ich bin so stolz auf alles, was wir getan haben, meine Brüder, und wenn wir das Glück haben, abzufliegen und in dem neuen Land zu landen, dann müssen wir weitermachen. So unwahrscheinlich es auch klingt, wir müssen weitergehen. Und ja, es gab Leid, doch jetzt wird es Gnade geben. Es gab Schmerz, doch jetzt wird es Heiterkeit geben. Nie ist jemand auf eine so schwere Probe gestellt worden wie wir, und das ist jetzt unser Lohn, ob es der Himmel sein wird oder etwas Geringeres.
Als ich fertig war, schien Benjamin zufrieden, und alle Männer im Raum sprachen zustimmende Worte in die Dunkelheit. Ich kletterte wieder auf mein Bett, hatte aber das Gefühl, als schwebte ich darüber. Jede Faser meines Körpers war wie elektrisiert. Meine Brust schnürte sich zu, und mir dröhnte der Kopf von den schrecklichen, endlosen Möglichkeiten des nächsten Morgens, und als er kam, war der Himmel weiß getüncht, alles war neu, und ich hatte überhaupt nicht geschlafen.
XXVI.
Als der Morgen zu Ende geht und meine Arbeit im Century Club getan ist, gehe ich in dem Wissen, dass ich diesen Job aufgebe und Atlanta aufgebe. Ich trete nach draußen, es ist ein belangloser Tag. Ich weiß, dass ich den Himmel, der über diese Stadt wacht, nicht vermissen werde. Er war für mich wie ein Hammer, und sobald ich kann, werde ich an einen ruhigeren Ort ziehen. Einen Ort, wo ich einige Zeit nachdenken kann. Ich muss neue Pläne machen, ohne den Blick dieser Wolken auf mir zu spüren.
Im Augenblick bestehen meine Pläne aus einem einzigen Durcheinander, aber ich weiß, dass ich bestimmte Dinge tun werde und andere nicht. Ich werde keine Stoffmuster mehr einsortieren. Ich werde keine Fernsehgeräte schleppen oder Lametta vom Fußboden eines Weihnachtsdekoladens fegen. Ich werde keine Tiere in Nebraska oder Kansas schlachten. Ich bin diesen Jobs gegenüber nicht voreingenommen, weil ich die meisten davon bereits kenne. Aber ich werde
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