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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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sie in meine Richtung schauten, als liefen sie zu mir nach Hause, zu mir. Zehn Männer binnen Sekunden, die Arme himmelwärts gereckt. Die Maschine, die sie niedergeschossen hatte, kam jetzt auf mich zu, und ich sah reglos zu, wie die schwarze Heuschrecke größer und lauter wurde. Ich konnte die sich drehenden Geschütze sehen, zwei Männer, die in der Maschine saßen und Helme trugen und Sonnenbrillen, wie die meines Vaters. Ich konnte mich nicht bewegen, während die Maschine näher kam, das Geräusch meinen Kopf füllte.
    – Achak!
    Die Hände meiner Mutter umfassten meine Taille, und sie zog mich mit großer Kraft in die Dunkelheit. Auf einmal war ich mit ihr in der Hütte. Das Geräusch tobte über uns, dröhnte, hackte, zerteilte sich selbst.
    – Bist du verrückt? Die werden dich töten!
    – Wer! Wer sind die?
    – Die Armee. Die Hubschrauber. Ach, Achak, ich habe Angst. Bitte bete für uns.
    Ich betete. Ich streckte mich flach unter dem Bett aus und betete. Meine Mutter saß aufrecht da und zitterte. Die Maschinen flogen über uns hinweg, verschwanden und kamen wieder, und das zurückkehrende Geräusch füllte ein weiteres Mal meinen Kopf.
    Ich lag neben meiner Mutter, fragte mich, wie es meinen Brüdern, meiner Schwester, meinen Halbschwestern, meinem Vater, meinen Freunden ergangen war. Ich wusste, wenn die Hubschrauber wieder fort waren, würde sich das Leben in unserem Dorf unwiderruflich verändert haben. Aber wäre es zu Ende? Würden die Heuschrecken davonfliegen? Ich wusste es nicht. Meine Mutter wusste es nicht. Es war der Anfang vom Ende der Gewissheit, dass das Leben weitergehen würde. Michael, hast du das Gefühl, dass du morgen aufwachen wirst? Dass du morgen essen wirst? Dass die Welt morgen nicht untergeht?
    Nach einer Stunde war es vorbei. Die Hubschrauber waren fort. Die Männer und Frauen von Marial Bai kamen langsam aus ihren Hütten hervor, in die Mittagssonne. Sie versorgten die Verwundeten und zählten die Toten.
    Dreißig waren getötet worden. Zwanzig Männer, die meisten derjenigen, die Fußball gespielt hatten. Acht Frauen und zwei Kinder, jünger als ich.
    – Bleib drin, sagte meine Mutter. – Du sollst das nicht sehen.
    Am nächsten Morgen kehrten die Armeelastwagen zurück. Die Lastwagen, die Wochen zuvor mit den Regierungssoldaten verschwunden waren, kehrten jetzt zurück und brachten erneut Soldaten her. Sie wurden von drei Panzern und zehn Landrovern begleitet, die sich am frühen Morgen rund um das Dorf verteilten. Sobald das Licht ausreichte, um effizient vorgehen zu können, sprangen die Soldaten von den Lastwagen und machten sich daran, die Ortschaft Marial Bai systematisch niederzubrennen. Sie entzündeten ein großes Feuer mitten auf dem Markt, und von diesem Feuer nahmen sie brennende Scheite und Fackeln, die sie auf die Dächer der meisten Häuser im Umkreis von einer Meile schleuderten. Die wenigen Männer, die Widerstand leisteten, wurden erschossen. Damit erlosch für einen gewissen Zeitraum praktisch jedes Leben in Marial Bai. Und wieder waren die Rebellen, denen diese Vergeltungsmaßnahme galt, nirgends zu finden.

VIII.
    Wenige Tage später verließen wir Marial Bai, Michael. Mein Vater und sein Laden waren Angriffsziele, sowohl für die Regierung als auch für die Rebellen. Er schloss also den Laden in Marial Bai, teilte seine Familie auf und traf Vorkehrungen, sein Geschäft nur noch von dem Laden in Aweil aus zu betreiben, rund hundert Meilen weiter nördlich. Er nahm zwei seiner Frauen und sieben Kinder mit. Ich wurde auserwählt, ihn zu begleiten, meine Mutter jedoch nicht. Sie und die anderen Frauen und Kinder sollten in Marial Bai und unserem halb zerstörten Haus bleiben. Das Dorf sei jetzt sicher, beteuerte mein Vater. Er hatte uns eines Sonntags nach der Kirche alle im Hof versammelt und uns seinen Plan erläutert. Das Schlimmste sei überstanden, sagte er. Khartoum hatte seine Stärke gezeigt, diejenigen, die mit den Rebellen kollaborierten, waren bestraft worden, und jetzt war es wichtig, neutral zu bleiben und zu demonstrieren, dass es keinerlei Kollaboration mit der SPLA gab, dass sie sogar unmöglich war. Wenn mein Vater keinen Laden in Marial Bai hatte, konnte er die SPLA auch nicht unterstützen, ob nun freiwillig oder nicht, und somit konnten Regierung, Rebellen oder Murahilin kein Interesse daran haben, ihn oder uns in irgendeiner Weise zu bestrafen.
    Meine Mutter war wütend, weil sie zurückbleiben sollte. Aber sie sagte nichts.
    –

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