Weit Gegangen: Roman (German Edition)
hast kostenlos Waren an die SPLA verteilt.
– Ich will mit Bol Dut sprechen.
– Bol Dut? Du kennst Bol Dut?
Das gab den Ausschlag. Bol Dut, ein bekannter Geldverleiher mit langem Gesicht und grauem Spitzbart, war der beste Freund meines Vaters in Marial Bai und überhaupt. Er hatte meinem Vater geholfen, den Laden in Aweil aufzumachen. Er war außerdem Mitglied des nationalen Parlaments. Alles in allem zählte er zu den bekanntesten führenden Dinka in Bahr al-Ghazal, und es war ihm gelungen, acht Jahre im Parlament zu sitzen, ohne die Dinka aus seiner Heimat gegen sich aufzubringen. Was nicht leicht war.
– Bol Dut ist ein Rebell, sagte der Soldat.
– Bol Dut? Pass auf, was du sagst. Er ist immerhin Parlamentsmitglied.
– Ein Parlamentsmitglied, das über Funk mit Äthiopien spricht, wie es heißt. Er gehört zu den Rebellen, und wenn du sein Freund bist, dann bist du auch ein Rebell.
Ich sah zu, wie mein Vater zum Verhör abgeführt wurde. Er war größer als die jungen Soldaten, aber er wirkte trotzdem sehr dünn und feminin, als er neben ihnen herging. Er trug ein langes rosa Hemd und seine abgelaufenen Sandalen, sie dagegen dicke Baumwolluniformen und robuste Stiefel mit wuchtigen schwarzen Absätzen. An jenem Tag schämte ich mich für meinen Vater, und ich war zornig. Er hatte mir nicht gesagt, wohin er ging. Er hatte mir nicht gesagt, ob er eingesperrt oder getötet werden würde oder in einer Stunde wieder da wäre.
Er kam am Morgen zurück. Ich sah ihn die Straße herunter auf uns zukommen und dabei vor sich hin murmeln. Meine Halbschwester Akol lief zu ihm.
– Wo warst du?, fragte sie.
Er ging an ihr vorbei in seine Hütte. Wenige Minuten später kam er wieder heraus.
– Achak, komm her!
Ich lief zu ihm, und wir gingen zurück zum Markt. Er hatte seinen Laden unbeaufsichtigt gelassen, als sie ihn abholten. Im Gehen suchte ich sein Gesicht und die Hände nach Spuren irgendwelcher Verletzungen und Misshandlungen ab. Ich spähte in seine Ärmel, um nachzusehen, ob ihm eine Hand fehlte.
– Es ist keine gute Zeit, für einen Mann in diesem Land, sagte er.
Als wir ankamen, fanden wir den Laden unversehrt vor. Drum herum waren Läden, die von Arabern geführt wurden, und wir vermuteten, dass sie für ihn aufgepasst hatten. Dennoch, es schien jetzt unmöglich, weiter in Aweil zu bleiben.
– Verlassen wir Aweil?, fragte ich.
Mein Vater lehnte sich gegen die Rückwand und schloss die Augen.
– Ja, ich denke, wir werden Aweil verlassen.
Bol Dut kam zum Abendessen. Ich sah ihn den Weg herunterkommen. Sein Gang war unverkennbar, ein gebieterisches Schreiten, erst wurde der eine Fuß nach vorn geworfen, dann der andere, als schüttelte er Wasser von den Schuhen. Seine Brust war breit und gewölbt, und sein Gesicht vermittelte stets ein echtes oder geheucheltes Interesse an allem.
Er stieß das Tor zu unserem Hof auf und ergriff die Hände meines Vaters.
– Die Sache mit den Soldaten tut mir leid, sagte er.
Mein Vater winkte ab.
– Normalerweise würde ich was unternehmen.
Mein Vater lächelte und schüttelte den Kopf. – Natürlich würdest du das.
– Normalerweise könnte ich was unternehmen, fügte Bol hinzu.
– Ich weiß, ich weiß.
– Aber zurzeit stecke ich in größeren Schwierigkeiten als du, Deng Arou.
Er würde beobachtet, sagte er. Er hatte sich mit den falschen Leuten getroffen. Seine vielen Reisen wurden mit großer Besorgnis betrachtet. Er hatte eine Einladung des Verteidigungsministers nach Khartoum abgelehnt. Seine Worte plätscherten dahin, während er zurück zum Markt schaute und dabei absolut verloren wirkte.
– Komm herein, Bol, sagte mein Vater und fasste Bol am Arm.
Die Männer bückten sich und verschwanden in der Hütte meines Vaters. Ich kroch rasch hinterher und legte mich hin, tat so, als würde ich schlafen.
– Achak. Raus.
Ich tat keinen Mucks. Mein Vater seufzte. Er ließ mich bleiben.
– Bol, sagte mein Vater. – Komm mit uns zurück nach Marial Bai. Da sind keine Soldaten. Da wird dir nichts passieren. Da hast du Freunde. Die Regierung hat dort nichts zu sagen.
– Nein, nein. Ich muss irgendetwas tun, ja. Aber …
Bol Duts Stimme klang brüchig.
– Bol. Bitte.
Bol ließ den Kopf hängen. Mein Vater legte beide Hände auf Bols Schultern. Es war eine vertraute Geste. Ich sah weg.
– Nein, sagte Bol mit etwas mehr Kraft in der Stimme. Er hob den Kopf. – Ich muss das aussitzen. Jetzt zu verschwinden wäre noch schlimmer. Es würde
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