Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
ich zu Brigitte. Sie zeigte sich erleichtert.
Und dann, nach über vier Jahren des Zusammenlebens mit dieser wunderbaren Frau, musste ich sie so sehr verletzen, wie man eine Frau, einen Menschen, nie verletzen sollte.
»Ich glaube, Christine und ich haben uns verliebt.« Brigitte schaute mich an, wie jemand, dem ein Arzt gesagt hat, er sei unheilbar an Krebs erkrankt.
»Was?«, fragte sie. »Bist du sicher?« Ihre großen braunen Augen füllten sich mit Tränen. Im Rückspiegel sah ich, wie Paul und Christine losfuhren. Und Brigitte weinte, stundenlang.
Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als in den Erdboden versinken zu können.
Vier Tage und 1000 Kilometer später, in der südaustralischen Hauptstadt Adelaide. Bis heute werde ich Brigittes Gesicht nicht vergessen. Ihre Augen voller Tränen, hinter der Scheibe des Busses, der sie nach Westaustralien bringen sollte. Sie hatte sich immer gewünscht, nach Perth fahren zu können. Mich hatte die Stadt nicht interessiert. So hatten wir uns schon vor Wochen entschieden, dass wir uns für eine gewisse Zeit trennen würden. »Wir treffen uns in drei Wochen um 12 Uhr in Brisbane vor dem Hauptpostamt«, sagte ich.
Dann fuhr ich los. Viel zu schnell. Es war im kleinen Städtchen Burra, in dem ich Christine zum ersten Mal umarmen konnte. Sie und Paul lebten bei einer älteren Bekannten. »Er hat mir zwei Stunden gegeben«, meinte sie. Auf einer Wiese unter einem großen Eukalyptusbaum besprachen wir, ob wir eine Zukunft haben könnten oder nicht. Wir lernten beide einen Menschen kennen, in den wir zwar verliebt waren – oder es zumindest glaubten –, aber eigentlich überhaupt nichts von ihm wussten. Wie auf einer Einkaufsliste im Supermarkt hakten wir die grundlegendsten, wichtigsten und intimsten Fragen des Lebens ab. Willst du Kinder? Wie steht’s mit der Karriere? Bist du religiös? Was magst du gerne und was nicht?
Wofür andere Paare Wochen brauchen, Monate, Jahre, dafür hatten wir 120 Minuten.
Und dann kam der Abschied. Wir beschlossen beide, unsere Reisen nicht abzubrechen. Wir wollten unseren Partnern auch nicht noch diesen Traum zerstören. So reiste Christine mit Paul weiter. Er schien besser mit der Situation zurechtzukommen als Brigitte. Ich traf sie, drei Wochen später, auf die Minute genau um 12 Uhr vor dem Hauptpostamt in Brisbane. In den folgenden Wochen hatten Christine und ich nur zweimal Kontakt. Briefe, die wir auf Postämter schickten – »Poste Restante« –, die auf der Reisestrecke des anderen lagen. Es gab noch keine E-Mails, und Mobiltelefone hatten damals nur reiche Leute.
Erst Wochen später, in Neuseeland, sollten wir uns wiedersehen. Es war das erste Mal, dass wir wirklich füreinander Zeit hatten. Zwei Tage auf einem Campingplatz im kalten, windigen Städtchen Westport. Dort wurde klar, dass wir zusammenbleiben wollten. Doch das sollte noch dauern. Brigitte und ich landeten drei Monate später in Frankfurt. Wir umarmten uns, sie nahm die nächste Maschine in ihre alte Heimat Berlin. Ein paar Jahre später heiratete sie und bekam zwei Kinder. Ich ging zurück in die Schweiz, suchte einen neuen Job, mietete eine Wohnung und kaufte mir einen alten VW-Bus. Ein paar Wochen später fuhr ich damit nach Frankfurt zum Flughafen. Mit 21 Rosen aus dem Supermarkt in der Hand wartete ich am Gate. Mir entgegen kam eine Frau, die ich zwar nicht kannte, aber von der ich schon damals, im Schein des Lagerfeuers, gewusst hatte, dass sie meine Frau ist. Christine zog zu mir in die Schweiz. Ein gutes Jahr später heirateten wir.
Liebe auf den allerersten Blick. Es gibt sie.
KAPITEL 35
Was wohl geschehen wäre, wenn wir damals nicht in diese Schlucht abgebogen wären? Wahrscheinlich würde ich, wie viele meiner Kollegen, heute in irgendeinem Büro oder Newsroom in Europa sitzen, gutbezahlt hoffentlich, aber halbtot vor Langeweile. Und ich wäre mindestens einmal geschieden. Stattdessen bin ich auf der anderen Seite der Erdkugel und diskutiere mit meinen Freunden von TGG, wie wir am besten die Welt retten könnten. Liebend gerne würde ich die ersten Bewohner dieser Region fragen. Denn niemand dürfte die Natur und die Umwelt besser kennen, besser verstehen, die Veränderungen sehen als die Aborigines. Doch da die Ureinwohner der Gegend schon kurz nach der Ankunft der ersten weißen Siedler vertrieben worden waren, wird meine Hoffnung, in Greentown ein Aboriginal-Festival veranstalten zu können, wohl für immer ein Traum bleiben. Umso
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