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Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Titel: Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Wälterlin
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größer ist meine Freude, als ich den Auftrag erhalte, über ein anderes zu berichten: das Garma-Festival im Northern Territory.
    So bin ich einen Tag später wieder in Arnhemland – nur Monate nach meinem Abenteuer mit Shane Wright und dem Schwein. Allerdings besuche ich diesmal eine andere Ecke dieses riesigen Gebiets und aus einem ganz anderen Anlass.
    Entlang einer staubigen Straße gehe ich an einfachen Zelten vorbei. Rauch von Lagerfeuern liegt in der Luft. Ich höre den melancholischen Klang eines Didgeridoos. Das Brummen dieses jahrtausendealten Instruments der nordaustralischen Aborigines ist so intensiv, dass ich das Gefühl habe, die Vibrationen in den Knochen zu spüren. Ich komme mit Matthew Gaykamangu ins Gespräch. Er sitzt vor seinem Zelt, umgeben von Brüdern und Schwestern, Neffen und Nichten. Die Mitglieder des Gupapuyngu-Clans sind zwei Tage lang gereist, erzählt er. In alten Toyotas, auf holprigen Straßen durch eines der am dünnsten besiedelten Gebiete der Welt. Doch das Garma-Festival in der Nähe der Stadt Nhulunbuy sei die Strapaze wert. Das jährlich stattfindende Festival ist das größte Treffen von Aborigines in Australien. »Wir können unsere Kultur miteinander teilen und den Kindern weitergeben«, sagt Matthew. Die Erhaltung der Weisheit der Vorväter sei der einzige Weg für Aborigines, »Selbstachtung und Respekt« zurückzugewinnen. »Früher waren wir naiv und haben einfach alles akzeptiert, was uns die Weißen gaben: Zucker, Alkohol, Tabak. Und es hat uns kaputtgemacht. Heute wissen wir: Der weiße Mann ist unser Feind!«
    Nach 20 Jahren in diesem Land schockieren mich solche Aussagen nicht mehr. Noch immer aber erschüttern sie mich. Nach Jahrzehnten offizieller Versöhnungsversuche ist Matthews Verbitterung symptomatisch für den Stand der Beziehungen zwischen der weißen Bevölkerungsmehrheit und den Ureinwohnern Australiens. Seit Mitte der neunziger Jahre sind Leiden und Sorgen der ersten Bewohner des australischen Kontinents in den Hintergrund der Debatte gerückt. In Wahlkämpfen dominieren regelmäßig Fragen um Konjunktur und Leitzinsen, Asylsuchende. Aborigines und ihre Probleme werden kaum noch diskutiert. »Dabei ist die Situation alles andere als gut«, sagt Mandawuy Yunupingu. Er ist Lead-Sänger der Aboriginal-Rockgruppe Yothu Yindi – und Veranstalter des Garma-Festivals. Kein australischer Ureinwohner ist im Ausland so bekannt wie Yunupingu. In den achtziger und neunziger Jahren war Yothu Yindi weltweit eine der bekanntesten Rockgruppen Australiens. Nur Midnight Oil hatte vielleicht einen noch größeren Namen.
    Das Verhältnis zwischen weißen und indigenen Australiern klafft wie eine offene Wunde am Körper der Nation. Mehr als 200 Jahre nach Beginn der europäischen Besiedelung des fünften Kontinents sind Aborigines noch immer die am stärksten benachteiligte Bevölkerungsgruppe. »Aboriginal-Männer sterben im Durchschnitt 17 Jahre früher als nichtindigene Australier«, erzählt mir Yunupingu, als wir über das Festgelände gehen, »im Alter von nur 56 Jahren.« Auch die Kindersterblichkeit unter Aborigines ist überdurchschnittlich hoch: Von 1000 Neugeborenen sterben 19 im ersten Lebensjahr. Jenen, die überleben, drohen Atemwegserkrankungen, Gefäßkrankheiten, Diabetes und die – oftmals tödliche – Folge: Nierenschäden. Das Fehlen von ärztlicher Hilfe, wie sie weiße Australier als selbstverständlich genießen, aber auch die schlechte Ernährung – das seien die Gründe für die Dritte-Welt-Zustände, meint Yunupingu. Kinder sind ganz besonders gefährdet. Sie erkranken oft an Mittelohrentzündung, Schwerhörigkeit kann die Folge sein. Weil Kinder den Lehrer im Unterricht nicht richtig hören, können sie dem Stoff nicht folgen. Ihre Leistung nimmt ab, und schließlich gehen sie nicht mehr zur Schule. »Jugendkriminalität, Alkoholismus, Drogenmissbrauch und Arbeitslosigkeit sind die Folgen«, erklärt Yunupingu. Der Mann kennt das Problem aus eigener Erfahrung: Er hatte seine Laufbahn als Lehrer in der Schule des kleinen Dorfes Yirrkala begonnen. »Und dann der Rassismus, vielleicht das größte Übel, mit dem wir noch immer zu kämpfen haben«, sagt der Stammesälteste.
    Viele Ureinwohner sehen die sogenannte Intervention im Northern Territory als den jüngsten ultimativen Ausdruck von Rassismus gegenüber Aborigines. Im Jahr 2007 hatte die Regierung Hunderte von Soldaten, Ärzten, Beamten und Krankenschwestern in über 40 isolierte

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