Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
geöffneten Eingangstüren. Seien es die Millionen von Computerbildschirmen und Lampen in den leeren Büros von Sydney, die in der Nacht die Skyline der Stadt erleuchten. Die Bauindustrie gehört zu den größten Sündern. In den meisten Bundesstaaten sind die Bauvorschriften in der Steinzeit steckengeblieben. Während heute in Europa kaum noch ein neues Gebäude erstellt werden kann, ohne dass es komplett isoliert ist und sogar mit Wärmepumpen, Solaranlagen und anderen Formen der erneuerbaren Energiegewinnung zumindest einen Teil seines Stroms selbst herstellt, gibt es in Australien kaum solche Regeln.
»Wieso denn auch? Wir haben ja genügend Brennstoff«, so die lapidare Antwort, als ich meinem Nachbarn Jason die Frage stelle, weshalb er sein Haus nicht isoliere. Er muss denken, ich sei verrückt. Jason beobachtet, wie ein Arbeiter mit einem dicken Schlauch aus einem Tanklaster einen isolierenden Füllstoff aus Zeitungspapier in unseren Dachstock pumpt. Das ist eine von vielen Maßnahmen, mit denen wir versuchen, unser Haus etwas energieeffizienter zu machen. Ich dichte Fenster ab, klebe Gummisiegel zwischen Türen und Türrahmen, um den Durchzug zumindest etwas zu reduzieren. Gut 1000 Euro kostet mich jetzt die Isolation unseres Dachbodens. Als ich Jason das erzähle, schüttelt er nur den Kopf.
Ich habe fast den Eindruck, der verschwenderische Umgang mit Energie sei in der DNA des typischen Australiers. Seit über 200 Jahren lebt dieses Land in einem Nirwana, mit einem Überschuss an fast allem. Vor allem Brennstoff. Weshalb sparen, wenn man einfach zur Schaufel greifen und mehr Kohle ausgraben kann? Im »Macquarie«, mit seinen Schalttafeln für Klimaanlage und Heizung, mit seinen integrierten Thermostaten und Thermometern, wird mir klar, was es bedeutet, wenn ein Land praktisch unbegrenzt Rohstoffe hat, die es verfeuern kann. Energiesparen ist in den Augen vieler Australierinnen und Australier nicht nötig – nein, es ist schlicht kein Thema. Achtzig Prozent seines Stroms produziert Australien mit dem Verbrennen von Kohle. Die Vorräte im Boden sind so groß, dass Australien noch über 500 Jahre lang Kohle zur Stromherstellung verfeuern und den Rohstoff in alle Welt verkaufen kann.
Als ich am Abend nach Hause komme, ist Christine völlig erschöpft. »Endlich bist du da«, sagt sie. Samuel, eigentlich ein ruhiges Baby, will nicht essen und schreit seit drei Stunden, ununterbrochen. Vielleicht zahnt er. Es sind solche Situationen, in denen wir spüren, wie sehr uns unsere Familien fehlen. Wir teilen dieses Schicksal mit vielen Auswanderern: Wenn aus einem Paar eine Familie wird, zeigt sich oft zum ersten Mal und mit aller Deutlichkeit, was es heißt, auch zu zweit alleine zu sein. In einem anderen Land, 16 000 Kilometer von zu Hause, ganz auf sich gestellt, ohne jegliche Unterstützung. Keine Oma, die sich mal um das Kind kümmert, damit die Mutter schlafen kann, keine Schwester und kein Bruder, die einem die Hand halten, wenn man nach durchwachten Nächten nicht mehr kann. »Es wird schon gehen«, sagt Christine. Völlig erschöpft, aber wie immer die Optimistin, döst sie ein.
KAPITEL 10
Durch meine Arbeit bin ich zwar sehr viel unterwegs, wenn ich aber zu Hause bin, komme ich meinen Pflichten als Vater nach. Und das liebend gerne. Da Christine Teilzeit im Krankenhaus arbeitet und ich in meinem Heim-Büro, geben wir Samuel für einige Stunden am Tag in einen Kinderhort. Australien hat ein sehr gutes Betreuungssystem für Kinder. Es erlaubt Frauen, schon bald nach der Geburt die Arbeit wieder aufzunehmen. Natürlich könnte auch der Vater zu Hause bleiben, um nach dem Kind zu schauen. Das ist für viele Familien aber ein Ding der Unmöglichkeit. Nicht nur, weil in den meisten Fällen noch immer die Mutter die Rolle der Hausfrau spielt und der Vater zur Arbeit geht – Australien ist diesbezüglich sehr traditionell. Immer mehr Haushalte kommen aber finanziell nicht mehr über die Runden, ohne dass beide Elternteile Geld verdienen.
Jeden Morgen bringe ich den Kleinen in den Hort »Little Birds«. Am Anfang wehrte sich Samuel mit Händen und Füßen dagegen. Viele Tränen flossen. Jetzt kann er es kaum erwarten, bis ich ihn abliefere. Nora, die Leiterin des Hortes, begrüßt mich jeden Tag mit einem himmlischen Lächeln. Es sei eher ungewöhnlich, dass sich ein Mann um die Kinder kümmere, sagt sie. Als ich ihr erzähle, dass ich an vielen Tagen auch koche, schmilzt sie fast vor Begeisterung.
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