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Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Titel: Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Wälterlin
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nachdem es ihr Chef neu gesetzt hatte. »Ich weiß nicht, warum mir diese Zahl jeweils erschienen ist«, meinte sie, »aber ich wusste, dass ich eine spezielle Begabung habe.« Arbeitslos und dringend auf der Suche nach einem Einkommen, wurde aus Ingrid »Madame Aba«, das Medium, das anderen Menschen helfen wollte. Sie sehe ihre Begabung aber als Geschenk, nicht als Beruf. »Ich verlange nie Geld. Wenn mir jemand etwas geben will, dann ist das nett. Aber es muss nicht sein.« Dann öffnete sie einen dicken Aktenordner mit Dutzenden von Zeitungsausschnitten. Artikel, die bezeugten, dass sie der Polizei beim Auffinden von Vermissten geholfen hatte. Sie brauche nur einen persönlichen Gegenstand des Vermissten, sagte Madame Aba, ein Taschentuch, ein Buch. Dann könne sie in Minuten auf einer Landkarte den Aufenthaltsort des Besitzers zeigen.
    Nachtisch. »Soll ich etwas über Sie erzählen?«, fragte mich Ingrid.
    Ich nickte. Die Artikel im Ordner, ergänzt durch mehrere Dankesschreiben der Polizei, hatten meine Neugierde geweckt. Was als eher langweiliges Abendessen in einem Vorort von Zürich begonnen hatte, sollte mich noch Jahrzehnte später beschäftigen.
    Ingrid griff nach meinen Händen. Sie schien in Trance zu verfallen. Mit einer tiefen, ruhigen Stimme begann sie zu sprechen. Sie erzählte von meiner Jugend. Von Dingen, die zwar besonders waren, aber einzigartig waren sie nicht. Dann sprach sie von meinen vergangenen Liebschaften. Im Detail. Während Wehrli im Hintergrund den Tisch abräumte und mit dem Abspülen begann, beschrieb sie in sonorem Ton Szenen aus meinem Leben, persönliche Erfahrungen, sogar intime, Dinge, die nur ich alleine wissen konnte, die ich niemals jemandem erzählen würde. Mir lief es kalt den Rücken herunter. Dann kam sie zur Gegenwart. Sie beschrieb bis in die Einzelheiten, wie mein Haus aussah. Sie wusste, dass in meinem Gartenhaus »eine rote Petrollampe über dem Tisch hängt«. Sie beschrieb meine damalige Freundin. Brigitte habe eine Narbe am rechten Schienbein. Stimmt. Sie sei groß gewachsen, habe braune Haare, braune Augen. Stimmt. Sie trage einen Jeansrock.
    Falsch. Brigitte besaß keinen Jeansrock.
    Eine Frau, die ich nie zuvor gesehen hatte, wusste mehr über mein Leben als sonst irgendjemand. Mir blieb die Spucke weg. Fast war ich erleichtert, dass sie wenigstens einmal danebenlag.
    Dann fragte mich Madame Aba, ob ich auch an der Zukunft interessiert sei. »Wenn wir schon dabei sind.« Ich war ziemlich aufgewühlt. Brigitte und ich, sagte sie, würden auf eine lange Reise gehen. Und ich würde später an einem Ort leben, der ganz von Wasser umgeben sei. »Eine große Insel oder so. Ein Kontinent?«
    Und mein erstes Kind werde eine Tochter sein.
    Ich verabschiedete mich. Als ich nach Hause kam, begrüßte mich Brigitte in einem Jeansrock. »Den habe ich mir heute gekauft«, sagte sie, »ich wollte schon immer einen haben.« Madame Aba sollte auch sonst recht behalten. Der Ort, an dem ich lebe, ist umgeben von Wasser, ist Australien. Ein Land, von dem ich damals gerade mal wusste, wo es liegt. Sicher hatte ich zu diesem Zeitpunkt keinerlei Pläne, in Australien zu leben. Auch Voraussagen, die mit meinem Beruf zu tun hatten, sollten sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten bewahrheiten. Bis ins kleinste Detail.
    So war Christine nicht im Geringsten überrascht, als ich an diesem Tag im Ultraschalllabor reagierte, als hätte mich der Blitz getroffen. Die Wahrsagerin hatte sich getäuscht. Zum ersten Mal. Mein erstes Kind ist ein Sohn, keine Tochter.
    Madame Aba sollte aber noch mit einer weiteren Voraussage recht behalten. Meine zukünftige Frau werde nicht Brigitte sein, sagte sie. Ein Jahr später entschieden sich Brigitte und ich, eine Reise um die Welt zu machen. Danach wollten wir heiraten. Wir waren ein Jahr lang unterwegs. Ich ging mit Brigitte los und kam mit Christine zurück, meiner zukünftigen Frau.
    Doch das ist eine andere Geschichte.

KAPITEL 9
    »Wo ist der Staubsauger?«, fragt Christine. »Und hast du endlich die Lampe gekauft?« Das Leben in Suburbia hat eine eigene Geschwindigkeit. Höchstgeschwindigkeit. Dauernd Stress, der eigentlich nicht nötig wäre. Einkaufszentrum, Rasen mähen, Vorplatz wischen, im Stau stehen. Auto waschen, so sauber wie das der Nachbarn. Wir haben die Nase voll. Vorortskoller. Was der Auslöser war, weiß ich nicht. Vielleicht sind es meine täglichen Diskussionen mit Dave, in denen wir über die Banalität des Alltags

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