Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
eine Stufe höherklettern. Seine »Battler« nannte Howard sie – seine »Kämpfer«, die versuchen, aus ihrem Leben das Beste zu machen. Belastet sein sollten diese Krieger in den Vororten höchstens mit Schulden – Hypotheken, Kreditkarten –, nicht aber mit Schuld. Keine Schuldgefühle wegen des anhaltenden Unrechts gegenüber Aborigines, keine Gedanken daran verschwenden, dass Australien pro Kopf einer der größten Umweltverschmutzer der Welt ist, kein Gefühl der Schuld, dass es Flüchtlinge behandelt wie Schwerverbrecher. »Entspannt und komfortabel« sollten seine Australierinnen und Australier sein. Einkaufen statt Engagement. Konsum statt Kritik. Genau das, was Menschen wie Marie hören wollten.
Ignoranz war für Howard eine legitime Lebenseinstellung, nicht nur für die Massen, sondern auch für sich selbst. Das Zelebrieren, das Fördern von Ignoranz wurde unter Howard zum politischen Standard, zu einem sehr effektiven Instrument der Politiker. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Mit gutem Grund: In den äußeren Suburbs der australischen Städte leben die meisten Menschen und somit die meisten Wähler. Wer an den Wünschen, Hoffnungen, Bedürfnissen und Vorurteilen dieser Masse von Arbeitern und Mittelmanagern vorbeipolitisiert, an Millionen von Menschen, die im Leben wenig anderes interessiert als Eigenheim, Rugby, Bier, Barbecue und Shopping, der hat keine Chance. Wer ihr eine Schuld aufbürden will oder nur ein Bewusstsein für die vielen Probleme entwickeln möchte, mit denen das Land und die Welt konfrontiert sind – Klimawandel, Flüchtlinge, Rassismus –, unterzeichnet sein politisches Todesurteil. »Panem et Circenses«, hatte schon der römische Dichter Juvenal gesagt. »Brot und Spiele« sind es auch, was die Wählermassen von Sydney und Melbourne zufriedenstellt. Autobahnen und Sportplätze, ein Scheck von der Regierung für »Battler«-Familien, kurz vor den Wahlen. Keine politische Ideologie hat dieses Land in den letzten zwei Jahrzehnten mehr geprägt als die der staatlich geförderten Selbstzufriedenheit. Sie beschäftigt mich ständig – als Journalist, der über ihre vielfältigen und gelegentlich schockierenden Variationen und Folgen berichtet, und als Einwanderer, der mit ihr jeden Tag konfrontiert ist.
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Christine und ich fahren in den Stadtteil Parramatta. Wir haben einen Termin mit einem Immobilienhändler. Wir haben uns entschieden, endlich unser kleines Stück Land zu suchen, unser kleines Paradies. »Vielleicht kann ich hier meinen Jugendtraum verwirklichen und Bauer werden«, sage ich schmunzelnd, aber nicht ohne einen Funken Ernst. Seit meiner Kindheit interessiere ich mich für Landwirtschaft. »Wo sonst kann man sich so einen Traum heute noch verwirklichen, wenn nicht in Australien?«, frage ich.
Bill Phillips ist ein drahtiger Mann in den Sechzigern. Wenn man eine Karikatur des typischen australischen »Real Estate«-Agenten zeichnen müsste – Bill wäre die perfekte Vorlage. Kurzärmeliges weißes Hemd mit Krawatte, dazu beige Hosen, weiße Socken und weiße Golfschuhe und ein braungebranntes Gesicht. Immobilienagenten – allen voran jene, die nur Grundstücke verkaufen – haben in Australien keinen guten Ruf. Scharlatan ist noch einer der freundlicheren Ausdrücke, die man hört. Nicht ohne Grund. Immer wieder gibt es Skandale, in denen Immobilienhaie unvorsichtigen Kleinsparern unglaubliche Gewinne versprechen. Etwa wenn sie sich an einer »Subdivision« beteiligen. Bei solchen durchaus legitimen Geschäften teilt ein Immobilienhändler ein großes Grundstück in mehrere kleine Blöcke auf. Diese verkauft er dann wieder – mit möglichst großem Profit. Oder er baut darauf Häuser und veräußert die Grundstücke als Gesamtpaket. Solche Projekte benötigen aber meist viele Millionen Dollar Startkapital. Um das Geschäft finanzieren zu können, sucht der Händler Partner. Wenn er keine willige Bank findet, geht er zu den Kleinsparern.
Ich habe einmal einen Mann interviewt, der bei einem solchen Schwindel Haut und Haare verloren hat. Ein Agent hatte Jim mit dem Versprechen auf Renditen von 18 Prozent gelockt, wenn er 250 000 Euro in eine neue »Subdivision« stecke. Jim pumpte nicht nur sein gesamtes Vermögen in das Projekt – alles, was er in 40 Jahren Arbeit in derselben Firma als Altersvorsorge zur Seite gelegt hatte. Er nahm noch einen Kredit auf. Aus dem Versprechen wurde nie Realität. Der Agent verschwand eines Tages spurlos. Es
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