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Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Titel: Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Wälterlin
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»Ach, ihr Europäer. Mein Mann würde das nie tun. Und selbst wenn er wollte, wäre es hoffnungslos. Der würde noch einen Topf Wasser anbrennen lassen«, klagt sie.
    Kinderhorte sind in Australien in der Regel von der Regierung subventioniert. Kleinere wie »Little Birds« haben es nicht einfach gegen die Giganten der Industrie. McDonald’s auch am Wickeltisch: Die Versorgung von Kindern wird in Australien zunehmend von gewinnorientierten Konsortien kontrolliert. In den achtziger und neunziger Jahren kam es zu einem wahrhaften Boom im Geschäft mit den Kleinen. Millionen von Familien in Suburbia hatten sich mit Schulden überladen, um sich ihr überdimensioniertes Traumhaus leisten zu können. Doppelverdienende Familien waren vielerorts nicht mehr die Ausnahme, sondern wurden zur Norm. Es fehlte an Tausenden von Krippenplätzen für Kinder, deren Eltern zur Arbeit mussten. Findige Geschäftsleute sahen ihre Chance und bauten Hunderte von Kinderhorten. Das Geheimnis ihres Erfolgs: Für jedes Kind, das sie in ihre Obhut nehmen, bezahlt die Regierung eine Subvention. Dazu kommen Gebühren, die die Eltern bezahlen müssen. Eine Goldgrube.
    Marie ruft an. Sie habe wieder einen guten Deal gesehen, sagt sie, keuchend vor Erregung. »In Westfield gibt’s ein Angebot für einen Großbildfernseher. Aber ihr müsst euch beeilen. Es gibt nicht mehr viele.« Marie und Jack sind fast unsere ältesten Freunde hier. Kennengelernt hatten wir die beiden schon beim Schwangerschaftsturnen. Ich mag die Frau. Auch wenn sie meiner Ansicht nach einen Schuss weg hat. Ihr ganzes Leben scheint sich darum zu drehen, immer mehr »Sachen« billig zu kaufen. Sie verkörpert, was den typischen australischen »Suburban« ausmacht. Das Streben nach einem immer besseren, größeren Haus. Der chlorierte Swimmingpool, die enorme Hypothek, der verschwenderische Lebensstil, der subtile Rassismus, die Ignoranz gegenüber so ziemlich allem, was die Welt bewegt. Außer der kleinen Welt natürlich, in der sie sich bewegt.
    Ich sage Marie, dass wir im Moment keinen neuen Fernseher bräuchten, dass wir schon zwei hätten. Unvorstellbar für eine Frau, die in ihrem Haus sechs enorme Bildschirme installiert hat, die fast rund um die Uhr laufen, alle auf verschiedenen Sendern. Einmal mehr ist Marie darüber enttäuscht, dass wir ihren Einkaufswahn nicht teilen. Einkaufen – »Shopping« –, die Jagd nach dem Schnäppchen, mit dieser Besessenheit ist Marie nicht alleine. Mir scheint, Einkaufen ist eine der wenigen Formen von Abwechslung im Alltag von Millionen von Vororts-Australierinnen und -Australiern. Gigantische Einkaufszentren sind Tempel, in dem der Konsumwahn bis zum Exzess zelebriert wird. Dieses Phänomen ist relativ neu.
    Es begann mit einem mittellosen Flüchtling aus Ungarn.
    Ich habe Frank Lowy nur einmal kurz getroffen, den Mann, der es mit Chuzpe, brillantem Geschäftssinn und viel Arbeit und Eifer bis ganz nach oben geschafft hat. Und dabei die australische Gesellschaft grundlegend veränderte. Lowy, ein in Budapest aufgewachsener Jude, war nach dem Zweiten Weltkrieg über Israel nach Australien ausgewandert – mit nur ein oder zwei Dollar in der Tasche und dem Traum, erfolgreich zu werden. Der junge Mann betrieb einen kleinen Gemischtwarenladen, als er im Westen von Sydney große freie Felder entdeckte. Auf die baute er das erste Einkaufszentrum, einen Konsumtempel mit einer Vielfalt von Angeboten und Welten entfernt vom damals üblichen Tante-Emma-Laden. Der Name für die Anlage lag auf der Hand: Westfield. Der Rest ist Geschichte. Heute, 50 Jahre später, ist die Westfield-Gruppe einer der größten Einkaufszentrumsbetreiber der Welt, mit Shopping-Anlagen nicht nur in Australien, sondern in den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Neuseeland. Und Frank Lowy, inzwischen über 80 Jahre alt, ist mit einem Vermögen von über fünf Milliarden Euro einer der reichsten Australier. Er ist ein weiser Mann, mit weißem Haar, und nach all den Jahren noch immer mit einem starken osteuropäischen Akzent. Und noch immer mit einem Spürsinn für das, was die Leute brauchen oder zu brauchen glauben. Ein Riecher, der ihn schon zu Lebzeiten zur Legende gemacht hat.
    Wie kaum ein anderer australischer Unternehmer hat Frank Lowy von den Wünschen und Hoffnungen der Menschen profitiert, die der konservative Premierminister John Howard »Aspirationals« nennen sollte – Menschen der Mittelklasse, die mehr wollen, die es zu Wohlstand bringen wollen,

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