Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
sprechen, über die Nachbarn, über die Politiker, für die Konsum und Wohlstand die einzigen Parameter des Glücks zu sein scheinen. Doch Dave ist nicht mehr hier. Er hatte genug, verkaufte seinen Laden und zog aufs Land. Kängurus statt Karriere. Für uns ist Umziehen keine Option, schon alleine wegen unserer Hypothek, die wir erst mal etwas abzahlen wollen. »Wenn wir wenigstens einen Ort hätten, wo wir an den Wochenenden hinkönnten«, sage ich zu Christine. »Irgendwas im Busch.« Trotz der Größe unseres Hauses, trotz der Weite des Gartens fühlen wir uns eingeengt. Dabei leben wir doch einen Traum: die eigenen vier Wände. Millionen Australierinnen und Australier dürsten danach. »Häuser sind Umschläge für unsere Träume und Hoffnungen«, hat Peter McNeil, Professor für Architektur an der University of Sydney, einmal gesagt, »und sie wechseln mit jeder Generation.« Australier haben große Träume. Ihre Häuser sind die größten der Welt.
An McNeils Worte denke ich, als ich durch die neusten »Suburbs« fahre, vorbei an brandneuen Häusern, Palästen fast, alle mit dem charakteristisch kleinen Garten. Wie übergewichtige Schulkinder, die in zu enge Kleider gezwungen wurden, sehen sie aus. Ich kann mich erinnern, dass vor ein paar Jahren an diesem Ort noch Schafe weideten. Viel hat sich getan seither bei uns. Samuel gedeiht prächtig, ein Bruder ist unterwegs. Und das Angebot für eine Stelle als Redakteur bei einer Zeitung in der Schweiz war uns ins Haus geflattert. Die Rückkehr nach Europa war für Christine und mich mehrere Wochen lang eine wirkliche Option. Sieben Jahre in Australien – wir hatten unseren für zwei Jahre geplanten Aufenthalt längst überschritten. Doch dann die Nachricht aus der Redaktion meiner wichtigsten Zeitung: »Wir brauchen Sie. Wir wollen in unserer Berichterstattung keinen weißen Fleck auf der Landkarte haben.« Christine war ekstatisch. Zum ersten Mal hatten wir die Sicherheit eines monatlichen Einkommens. So beschlossen wir, noch ein paar Jahre länger in Australien zu bleiben.
Aber wir brauchen einen Rückzugsort. Einen Platz im »Busch«. Karriere und Kängurus.
»Busch«, so nennen die Australier eigentlich alles, was hinter den dichtbesiedelten Wohngebieten der Großstädte liegt. Nicht dass in relativer Stadtnähe noch viel Platz wäre. Weil die Preise in den inneren Bezirken der Stadt längst in stratosphärische Höhen geschossen sind, expandieren alle Millionenstädte Australiens immer weiter in die Provinz – ob in den Westen von Sydney, den Norden von Melbourne, den Westen von Brisbane oder den Nordosten von Perth. Bevölkerungsdruck und Landknappheit bringen die Infrastruktur und Budgets vieler Städte an die Grenzen der Belastung.
Der Bedarf nach neuem Land ist auch deshalb so groß, weil Australier eine notorische, ja historische Abneigung gegenüber dem Leben in Wohnungen haben, in Apartments. Heute versucht die Regierung mit zunehmender Dringlichkeit, die Menschen vom Sinn des Wohnens in Gemeinschaftshäusern zu überzeugen, in Wohnsiedlungen und Blöcken. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit war das ganz anders. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts wollten die Politiker kaum etwas von Wohnungen wissen. Zersiedelung war die Norm. Erst 1923 wurde in der Macquarie Street in Sydney das erste Apartment-Hochhaus gebaut. Zuvor hatten Wohnhäuser flach zu sein. Die Regierungen der Bundesstaaten und die Bauindustrie opponierten virulent gegen die Idee des Lebens in Apartments. Florence Taylor, die erste registrierte Architektin im Bundesstaat New South Wales, meinte im Jahr 1915 gar, Wohnungen seien »der Feind des Familienlebens«. Es wurde erwartet, dass die weiße Mittelklasse es zu etwas »Besserem bringt«. Sprich: zu einem eigenen Haus.
Und was für eines. Das durchschnittliche frei stehende Haus in Australien hat eine Wohnfläche von 243 Quadratmetern. In den Vereinigten Staaten – auch nicht unbedingt die Wiege von Bescheidenheit und Zurückhaltung – sind es 222 Quadratmeter. In Dänemark, dem Land mit der größten durchschnittlichen Eigenheimwohnfläche in Europa, sind es nur noch 137 Quadratmeter. In den letzten 20 Jahren sind die frei stehenden Häuser in Australien durchschnittlich um 40 Prozent größer geworden. Die Medien haben vor Jahren einen Begriff für diese enormen Bauten erfunden: »McMansion«. »Mansion« steht für »Herrenhaus«. »Mc« steht für die bekannte Fastfood-Kette. Nicht nur Babys werden in den Suburbs
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