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Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Titel: Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Wälterlin
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Krankenhaus. Doch immer häufiger denke ich, dass diese Stadt eine Identitätskrise hat. Wie so viele Städte oder Dörfer in Australien, deren beste Zeit vorbei ist und die nicht wissen, was die Zukunft für sie bereithält. Wo man hinhört, hört man Gejammer. Viele junge Menschen verlassen die Stadt, weil sie hier nichts hält, es keine Arbeitsplätze gibt, keine Chance, etwas aufbauen zu können. So klammern sich die Einwohner an Strohhalme. Kein Vorschlag, der den wirtschaftlichen Wiederaufschwung »garantiert«, ist zu absurd, um hier auf Gehör zu stoßen. Ein zweiter internationaler Flughafen für Sydney solle hier gebaut werden, ist eine der Ideen. Experten schütteln nur den Kopf. Hier steht in den Wintermonaten jeden Morgen bis zehn Uhr früh dicker Nebel.
    Die Hoffnung auf eine Rückkehr zu den »goldenen Zeiten« macht die Menschen blind.
    Greentown hatte einst eine gute Zeit, eine goldene Zeit. Wuchtige, architektonisch feinste Gebäude zeugen von einer Epoche, in der es an Geld nicht fehlte, in der Optimismus dominierte. Denn Greentown ritt, wohl wie keine andere Stadt Australiens, »auf dem Rücken der Schafe«. Die Gegend um Greentown galt – und gilt bis heute – als eines der besten Gebiete für die Produktion von erstklassiger Wolle. Millionen Tonnen Wolle wuchsen in 150 Jahren auf großen Farmen rund um Greentown. Die Stadt war das Dienstleistungszentrum für diese Farmen, der wirtschaftliche, soziale und politische Mittelpunkt der Region. Hier kauften Bauern ein, hier ließen sie ihre Maschinen reparieren, hier kauften und verkauften sie ihre Tiere, hier schickten sie ihre Kinder zur Schule. Und von hier wurde die Wollfaser in die ganze Welt exportiert. Mit der Erfindung von chemisch hergestellten Textilien verlor Wolle aber rapide an Bedeutung. Polyester, Teflon, PET, Lycra, Trevira, Nylon und Polyamid – sie läuteten in Greentown den Anfang vom Ende des Wachstums ein. Doch nicht nur hier. Ganz Australien konnte nicht mehr auf dem Rücken der Schafe reiten, so wie es das mehr als ein Jahrhundert lang getan hatte.
    Ich fahre in die Stadt. Eine viertel Stunde bin ich unterwegs, davon sieben Minuten auf unserer unbefestigten Straße. Greentown ist nach demselben Muster gebaut wie viele der frühen australischen Städte und Dörfer: eine zentrale Straße, an der die meisten Geschäfte und Verwaltungsgebäude angesiedelt sind, dahinter ein paar Parallelstraßen, ein Park, ein imposantes Postgebäude. Danach die Wohnquartiere, meist in geraden Linien angeordnet, gelegentlich aber auch scheinbar willkürlich platziert. Einfamilienhäuser meist, ab und zu auch mal ein modernes Apartmentgebäude. Anfang 2013 wurde die Stadt 150 Jahre alt, ein Fossil geradezu in einem Land, das es in der modernen Form gerade mal etwas über zwei Jahrhunderte gibt. Aborigines hatten im Gebiet des heutigen Greentown über Zehntausende von Jahren gelebt. Der Ort, wo heute der Bahnhof steht, war ein bedeutender Versammlungsplatz. Hier wurden Corroborees abgehalten, riesige Treffen benachbarter Clans, mit Hunderten, Tausenden von Teilnehmern. Es war ein Ort des Austauschs, des Tauschhandels, des Debattierens, des Kämpfens, der Versöhnung, des Liebens. Heute zeugt noch eine Tafel im Wartesaal von der Wichtigkeit dieses Platzes, etwas gleichgültig platziert über einem Gasofen. Daneben ein Ständer mit vergilbten Broschüren von den Zeugen Jehovas. Der Großteil der Ureinwohner verschwand, kurz nachdem die ersten Siedler in die Region vorgedrungen waren. Die Aborigines wurden vertrieben, zum Teil mit brutaler Gewalt, viele aber starben an Krankheiten, die sie nicht kannten und mit denen ihre Körper nicht zurechtkamen: Masern, Grippe, Typhus. Für ein paar Jahre zogen sich einige der Ureinwohner in eine kleine Siedlung an einem Billabong, einem Wasserloch in der Nähe der Stadt, zurück. Doch 1930 trocknete es aus. Und die letzten Ureinwohner der Region, die letzten Überlebenden, sie zogen weg. »Wir haben eine beschämende Geschichte, wenn es um Aborigines geht«, erzählt mir Linda, eine Hobby-Historikerin. »Wir haben sie nicht nur getötet und vertrieben, wir haben ihre heiligsten Stätten mit den Füßen getreten.« Nach dem Ersten Weltkrieg entschieden sich die Bürgerinnen und Bürger von Greentown, den Gefallenen der Region ein Denkmal zu setzen. Gegen den Willen der letzten überlebenden Aborigines suchten sie sich als Bauplatz ausgerechnet die heiligste Stätte der Ureinwohner aus: einen felsigen Hügel,

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