Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
sterben.
Wir kontrollieren noch einmal meinen Zaun, reparieren ein Loch und machen es uns anschließend auf Micks Veranda gemütlich. Ich habe einen Kasten Bier mitgebracht. Ich erinnere mich an meine Kindheit in der Schweiz, an den alten Mann, der bei uns hinten im Tal 20 Schafe hielt. Ich habe 90. Eine große Zahl im Vergleich zu Herden in Europa vielleicht, ein Klacks aber in Australien. Ich müsste noch 21 910 Schafe mehr haben, um von der Wollproduktion leben zu können. 22 000 Tiere brauche es, um eine Schaffarm kommerziell betreiben zu können, lerne ich später. Und natürlich das entsprechende Land. Die wirklich großen Schaffarmen liegen denn auch in den kaum besiedelten Gebieten Australiens, dort, wo Land billig ist und reichlich. Doch dort ist der Boden in der Regel mager. Je nach Qualität der Futtergräser braucht ein Farmer mehrere Hektar Weideland, um ein einziges Tier ernähren zu können.
»Jetzt bist du ein richtiger Australier«, sagt Mick. Das würde ich zwar nicht behaupten, ganz unrecht hat er aber nicht. Australien ritt schließlich »auf dem Rücken der Schafe«, wie ein bekanntes Sprichwort sagt. Seit den ersten Tagen der Kolonie spielten Schafe eine zentrale Rolle bei der Erschließung des Landes. Die ersten Tiere kamen 1788 mit der sogenannten »First Fleet« auf den Kontinent, der ersten Flotte von Schiffen; gemeinsam mit den ersten Strafgefangenen und deren Bewacher. Die Tiere hatten allerdings keine große Zukunft. Schon am Ende des Jahres waren sie tot, gegessen von den ersten weißen Bewohnern Australiens, die nicht wussten, wie sie in einer ihr völlig unbekannten und unwirtlichen Umwelt Nahrung finden können. Ein paar Schafe sollen auch den Speeren der Aborigines zum Opfer gefallen sein, sagen Historiker. Da Ureinwohner keinen Eigenbesitz kannten, war es für sie unverständlich, dass diese Neuankömmlinge kein Verständnis dafür hatten, dass die ersten Bewohner des Kontinents gelegentlich Lust auf eine Lammkeule hatten. Bald verteidigten die Europäer ihre Schafe mit der Muskete. Der »Diebstahl« von Nutztieren der Europäer durch die Aborigines war ein wesentlicher Grund, weshalb sich im frühen Sydney das Verhältnis zwischen den Invasoren und den Urbewohnern rasch und unwiderruflich verschlechtern sollte.
Erst 1797 ging es mit der Schaf- und Wollproduktion richtig los, als der geschäftstüchtige Offizier John Macarthur und der Geistliche Samuel Marsden ein Dutzend spanischer Merinoschafe aus Südafrika einführten. Die ersten Schafzüchter waren hervorragende Genetiker – lange bevor die Welt wusste, was Gene sind. Durch strikte Auswahl schafften sie es, eine australische Form des Merinoschafes zu züchten. Es ist ein Tier, das sich den zum Teil extremen klimatischen Bedingungen anpasst, die in Australien herrschen. Große Hitze, eisige Kälte. Und gleichzeitig liefert es Wolle von höchster Feinheit.
Aber es mag keinen Stress.
Hinter dem Zaun herrscht plötzlich Unruhe. »Ein Fuchs«, sagt Mick. Ich sehe, wie das Tier zwischen den Schafen herumrennt. Füchse wurden – wie Kaninchen – von den ersten Europäern eingeführt. Eine Tierart von vielen, die jedes Jahr Milliardenschäden an der Landwirtschaft anrichten. Frühe Siedler hatten sie aus der Heimat gebracht, um sie in britischer Tradition jagen zu können, zu Pferd, begleitet von Rudeln von Hunden und dem Ton des Jagdhorns. Doch Füchse fressen neugeborene Lämmer, sie greifen kleinere Kängurus an, sie töten einheimische Vögel, Reptilien, Säugetiere. In den Augen der Bauern sind sie Ungeziefer – nur eine Kugel ist gut genug für einen Fuchs. Mick und ich springen von der Veranda, über den Zaun, zur Herde. Wir müssen versuchen, die Schafe zu beruhigen, sie zusammenzuhalten. Als wir näher kommen, ist der Fuchs bereits mitten in der Gruppe. Die Schafe – nüsternschnaubend in der Luft – haben Todesangst. »Geh links«, ruft Mick, »ich komme von der anderen Seite.« Der Fuchs flieht. Doch es ist zu spät. Die Schafe sind in Panik. Das Leittier – jede Herde hat ein dominantes Schaf – rennt los, und die Gruppe folgt ihm. Schnell, immer schneller. Fliehende Schafe haben ein erstaunliches Tempo. Ein Mensch hat kaum eine Chance, sie einzuholen. Als sich Mick den Tieren in den Weg stellt, wendet sich der Leithammel abrupt ab. Der Rest der Herde folgt ihm. Dann sehe ich das Loch im Zaun, eines, das wir vorher übersehen hatten. In Sekunden hat das Leittier die Lücke erreicht und zwängt
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