Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
sich durch. Ihm folgen elf weitere Schafe. Wie Torpedos, die aus einem U-Boot schießen, zwängen sich die Tiere durch den Zaun. Ich renne los und stelle mich davor. Die restlichen Tiere wenden sofort. Sie jagen zurück auf mein Grundstück. Und plötzlich bleiben sie stehen, von einer Sekunde auf die andere. Als wäre nichts gewesen, grasen sie wieder.
Unten im Tal sehe ich, wie die zwölf Ausreißer im Wald verschwinden. »Mach dir keine Hoffnungen«, sagt Mick. »Die finden wir nie wieder.« Zwölfmal 20 Euro, das sind 240 Euro. Der teuerste Kasten Bier meines Lebens. Statt auf der Veranda zu sitzen und uns zu besaufen, hätten wir besser den Zaun nochmals kontrolliert, denke ich. »Mal gewinnst du, mal verlierst du«, sagt Mick, »so ist das Leben.« Darauf trinken wir noch einen.
Ein paar Wochen später habe ich meine Chance zur Rache. Es ist mitten in der Nacht, als ich vor dem Wohnwagen Geräusche höre. Durch den Spalt im Vorhang sehe ich im Licht des Halbmondes, wie ein Fuchs unsere Abfalltüte aufreißt, die wir am Abend neben unseren Wagen gestellt hatten, um sie am Morgen zu entsorgen. Es sind etwa 15 Meter zwischen Wohnwagen und Auto. Vorsichtig greife ich zu meinem Kleinkalibergewehr, entsichere es und öffne die Türe. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich meine Waffe auf etwas Lebendes richte. Und es ist kein gutes Gefühl.
Lange habe ich mein Gewehr noch nicht in Australien. Es ist eine von zwei Waffen, die ich aus der Schweiz geholt habe. Seit ich ein kleiner Junge war, hatte ich diese beiden Gewehre. Meine Kumpel und ich nutzten sie zum Präzisionsschießen, auf Zielscheiben. Da man als Landbesitzer in Australien zwangsläufig früher oder später eine Waffe benötigt – für einen Fall wie diesen –, entschloss ich mich, bei meinem nächsten Besuch in der Schweiz die Gewehre mitzunehmen. Das ist einfacher gesagt als getan. Der bürokratische Aufwand war enorm. Ich benötigte eine Ausfuhrgenehmigung der Schweizer Behörden und eine Einfuhrgenehmigung der Australier. Außerdem brauchte ich eine Umschlagsgenehmigung der Behörden von Singapur, denn die beiden Gewehre mussten auf dem dortigen Flughafen von bewaffneten Begleitern von einem Flugzeug zum andern gebracht werden. Endlich in Sydney gelandet, war es ein ganz besonderes Erlebnis, morgens um sechs Uhr beim Zoll meine zwei Waffen auszupacken – vor den Augen von drei Jumboladungen übermüdeter und nervöser Passagiere. »Die müssen wir konfiszieren«, sagte der Beamte, holte ein paar Formulare aus der Schublade, und ich schrieb zum sechsten Mal in einer Woche meine Adresse auf ein Papier. Ich sah die Gewehre erst Wochen später wieder, als sie mir über einen lizenzierten Waffenhändler in Greentown ausgehändigt worden waren – und ich ihm dafür ein paar hundert Dollar »Bearbeitungsgebühr« ausgehändigt hatte. Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten hat Australien extrem scharfe Waffengesetze. Sie sind die Folge eines der folgenschwersten Attentate der Geschichte. 1996 tötete ein Amokläufer auf der Insel Tasmanien mit mehreren halbautomatischen Gewehren 35 Menschen und verwundete 23 weitere, bevor er verhaftet werden konnte. Daraufhin verbot der damalige Premier John Howard nicht nur voll- und halbautomatische Gewehre, er schränkte auch den Besitz von Waffen deutlich ein. Nur Sportschützen dürfen Gewehre besitzen und Landwirte – oder, wie in meinem Fall, Leute, die Agrarland besitzen.
Es ist schwierig, mitten in der Nacht zu zielen, mit dem Mond als einziger Lichtquelle. Die Gefahr, dass ich danebenschieße, besteht. Ich versuche es trotzdem. Aber nur, weil ein hoher Erdhügel direkt hinter dem Tier einen Fehlschuss sofort auffangen würde. Blattschuss – der Fuchs ist auf der Stelle tot. Meine Ausbildung in der Schweizer Armee scheint doch für etwas gut gewesen zu sein. Unangenehm ist es mir trotzdem, ein Tier getötet zu haben. Obwohl der Fuchs ein Schädling war. Allerdings habe ich dem Räuber wahrscheinlich ein wesentlich schmerzhafteres Ende erspart. Wenige Tage später legen die Wildhüter im ganzen Gebiet um Greentown Giftköder aus, um die Zahl der Füchse zu reduzieren. Jedes Tier, das einen mit Gift versetzten Hühnerkopf frisst, stirbt einen langsamen Tod.
KAPITEL 18
Das Leben in einer Kleinstadt, es gefällt uns, auch wenn wir nur Wochenendbesucher sind. Greentown ist übersichtlich, nicht zu groß, nicht zu klein, und hat alles, was man braucht: Schulen, Einkaufszentren, ein
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