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Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Titel: Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Wälterlin
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einem Besuch in Sydney resigniert. Wer mit seinem Kind in ein Pub geht und es aus Versehen mit an den Tresen nimmt, um sich ein Bier zu bestellen, dem drohen nicht nur böse Blicke, eine Schelte des Wirtes, sondern Tausende von Dollar Buße. Paternalismus extrem in einem Land, das die Kontrolle seiner Bürger im Blut hat. Australien hat einige der intrusivsten Sicherheitsgesetze der Welt. Ein Australier hat eine 26-mal höhere Chance, von der Polizei oder vom Geheimdienst abgehört zu werden, als Bürger in anderen westlichen Staaten.
    Der Polizist traut dem Sträfling noch immer nicht.

KAPITEL 23
    Corina ist überall. In einem halben Dutzend Vereinen engagiert, jeden Abend unterwegs. Einen Flohmarkt für das Altersheim organisieren, Geld sammeln für drogenabhängige Jugendliche. Selbstlos, respektvoll, immer im Einsatz. Immer da für andere, die Seele der Gemeinde. Zwischendurch fährt sie noch ihre kranke Mutter zum Arzt. Und die Jugendlichen, um die sie sich kümmert, die machen auch immer Ärger. Immer wieder muss sie einen von der Polizeistation abholen, mitten in der Nacht. Eigentlich leitet Corina ein Immobiliengeschäft in der Hauptstraße von Greentown. »Dieses Haus ist zu teuer. Bekommst du 10 000 Dollar billiger«, höre ich sie sagen. Die 55-Jährige muss die ehrlichste Liegenschaftenhändlerin des Landes sein. Jeder kennt Corina, sie gilt in Greentown sozusagen als Eingeborene, ihre Familie lebt schon in der fünften Generation in der Region. Also seit Beginn der weißen Besiedlung des Landes. Corina ist ein Landei, wie wohl die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger von Greentown, und sie steht dazu. Nur einmal sei sie im Ausland gewesen, erzählt sie. In Vietnam, für ein Hilfsprojekt von Rotary. Sie kam mit einer Magenverstimmung zurück.
    Und dann ich. Weltenbummler mit mehr Magenverstimmungen, als ich zählen kann. Schweizer. Ausländer. Eben gerade erst angekommen. Corina und ich haben eigentlich nichts gemeinsam. Und doch verstehen wir uns sofort. Wir treffen uns alle paar Tage zum Kaffee. Ich erzähle ihr, dass wir nun hier wohnen, in unserem Shed, probeweise.
    »Wieso Greentown?«, fragt sie ungläubig.
    »Wieso nicht?«, antworte ich.
    »Du könntest doch in Sydney leben«, meint sie.
    »Wieso sollte ich, wenn ich doch hier wohnen kann, im Paradies?« Ich bin kein Stadtmensch, und für mich war immer klar, dass Greentown eine phantastische Zukunft haben könnte. Corina steigen Tränen in die Augen. Es ist für sie kaum fassbar, dass ein Außenstehender, und dann noch ein Ausländer, etwas Schönes sehen kann an ihrem Städtchen. Sie liebt Greentown, auf eine Art, wie wohl jeder Mensch den Ort liebt, in dem er seit seiner Geburt gelebt hat. Aber Corina macht sich keine Illusion darüber, dass man hier in der Provinz ist. Sie weiß, dass sie in einer Gemeinde lebt, die nicht wirklich weiß, welchen Weg sie gehen soll, die sich an jede Hoffnung klammert. Hoffnung auf ein Wiederaufleben der »guten alten Zeiten«. Hoffnung auf neuen wirtschaftlichen Wohlstand, wie damals, als man glücklich auf dem Rücken der Schafe reiten konnte, ohne viel denken zu müssen. Jeder, der die Rückkehr zu solchem Glück verspricht, wird hier mit Handkuss begrüßt. Auch wenn das Versprechen noch so absurd ist, die Pläne noch so überschwenglich sind, unglaubwürdig.
    »Wir müssen etwas tun«, sage ich zu Corina. Am Tag zuvor war bekanntgeworden, dass ein Unternehmer direkt neben der Stadt, auf der anderen Seite der Autobahn, eine gigantische Industrieanlage bauen will. Corina ist eine von wenigen, die nicht in die kollektive Euphorie eingestimmt haben. »Mindestens 300 Arbeitsplätze«, hatte der Industrielle vor versammelter Gemeinde versprochen. Corina sieht in erster Linie Zerstörung. Wo heute bestes Farmland ist, sollen künftig Hunderte von Lagerhallen stehen. »Das Logistikzentrum südlich von Sydney« werde Greentown werden, sagt der Unternehmer, ein gigantisches Warenumschlagszentrum. Beschlossene Sache. Mehrere Farmen hat er bereits aufgekauft, mit Hilfe finanzkräftiger Partner. Land, bereit für den Bulldozer. Beton statt Wiesen. Lastwagenverkehr, 24 Stunden am Tag. Bilder aus meiner Kindheit flackern auf. Der Ort im Norden der Schweiz, in dem ich aufgewachsen bin. Eine Situation vergleichbar mit Greentown. Ein liebliches Landstädtchen, ein Dorf eigentlich, ebenfalls verkehrsgünstig gelegen, ebenfalls südlich einer großen Stadt. Bis die Bulldozer kamen. Heute fährt man auf der Autobahn an

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