Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
meinem Heimatdorf vorbei und merkt nicht einmal, dass es da ist. Statt Wiesen Lagerhallen, Einkaufszentren und Billighotels. Und Lastwagenverkehr, 24 Stunden am Tag. »Das darf hier nicht geschehen«, sage ich zu Corina. »Wir haben die Chance, nicht dieselben Fehler zu machen wie in Europa.« Corina ist begeistert. »Ja, aber wie?«
Zum ersten Mal bin ich ganz persönlich in diesem Konflikt, der auf die eine oder andere Art fast alle Aspekte des Lebens in Australien bestimmt: Auf der einen Seite besteht ein starker Wunsch nach Erhaltung und Schutz einer einzigartigen und wertvollen Umwelt, für die Australien weltweit bekannt ist. Auf der anderen Seite ruft die Wirtschaft nach Arbeitsplätzen, Wohlstand, Gewinn und »Shareholder Value« – und das in vielen Fällen ohne jegliche Rücksicht auf die Konsequenzen.
Meine nächste Reportagereise führt mich nach Tasmanien. Passender geht’s nicht. An kaum einem anderen Ort dominiert dieser Konflikt seit Jahren in derart dramatischer Weise das Leben der Menschen wie auf dieser Insel. Tasmanien ist ein Konzentrat dessen, was sich in anderer Form und Intensität an unzähligen Orten des Landes abspielt: der Kampf gegen die hemmungslose Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, von denen Australien unendlich viele zu haben scheint. Etwa zwei Stunden Flug sind es von Sydney bis Launceston. Als ich aus dem Flughafengebäude trete, bereue ich, keinen Schirm dabeizuhaben.
Der Regen ist so fein, dass er kaum spürbar ist auf der Haut. Und doch ist man nach einer Minute völlig durchnässt. »Wir lieben Regen«, sagt Annabel, die mich abholt. Sie ist von der tasmanischen Regierung beauftragt, mir die Schönheiten dieses Teils der Insel zu zeigen. Wir fahren in den äußersten Nordwesten Tasmaniens. Regen hat eine ganz besondere Bedeutung hier. Er fällt oft, zuverlässig. Er macht diese Ecke zu einem der landwirtschaftlich produktivsten Orte Australiens. Ein eigentlicher Brotkorb der Nation, voll mit den besten Produkten, die man sich vorstellen kann. Hier atmet man die sauberste Luft auf dem Globus. Findet man im Rest der Welt pro Kubikzentimeter Luft im Durchschnitt zwischen 5000 und 500 000 Schmutzpartikel, seien es hier nur zwischen 10 und 600, sagen die Experten. Die Geschäftsleute hier oben und die Bauern, sie wissen um ihren Konkurrenzvorteil. »Sie machen das Beste aus der Einzigartigkeit, die ihnen die Isolation bringt – vom Rest Tasmaniens, vom Kontinent Australien, von der Welt«, sagt Annabel. Auf grünen Wiesen weiden Kühe, deren Milch in alle Welt exportiert wird. So gar nicht das Australienbild, das man kennt. Bayern oder Graubünden statt Outback und Wüste. Käse, Butter, alles erster Klasse. Nischenprodukte. Exklusiv. Kleine Mengen, große Margen. Die Leute hier oben verkaufen sogar ihren Regen. Flaschenweise wird das Wasser nach Europa exportiert, in die Vereinigten Staaten, Japan und den Nahen Osten.
Tasmanien, eine kleine Insel, die am unteren Ende des australischen Kontinents hängt. Hier kann man das Beste finden, was Australien bieten kann. Und das Schlechteste. Wie kein anderes Land hat es Australien geschafft, in nur 200 Jahren zu einer der reichsten Industrienationen auf dem Globus zu werden, deren Bevölkerung einen rekordhohen Lebensstandard genießt. Und wie kein anderes Land hat es Australien geschafft, in nur 200 Jahren einen wesentlichen Teil seiner Tier- und Pflanzenwelt auszurotten oder an den Rand der Existenz zu treiben, seine Flüsse und Bäche zu vergiften, seine Regenwälder abzuholzen, seine Korallen auszubleichen.
Unterschiede – sie sind in Tasmanien extrem und auf ein kleines Gebiet konzentriert. Auf der einen Seite der Straße findet man eine Wildnis, die von den Vereinten Nationen als Weltkulturerbe anerkannt ist und jedes Jahr Tausende von gutbezahlenden Touristen anlockt. Auf der anderen Seite der Straße dröhnt die Kettensäge. Kahlschlag, Umweltvandalismus, wie in einem Drittweltland. Gier und Macht.
Ich verabschiede mich von Annabel, ihrem kleinen Paradies, dem Regen, der Butter und den Kühen. Ich fahre nach Süden. Und das Klima ändert sich schlagartig.
Westlich von Hobart, der Hauptstadt Tasmaniens, bin ich mit Vica Bayley unterwegs. Er ist Ökologe, ein Aktivist der kleinen Umweltorganisation Wilderness Society. Über kurvige Straßen, entlang grüner Wiesen fahren wir ins Styx-Tal. Die dichten Regenwälder sind seit Urzeiten Heimat einer bunten Palette von Pflanzen und Tieren. Viele sind streng
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