Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
der australische Föderalismus nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatten«, sagt Eccleston. Denn Canberra wacht über den Geldhahn. Die Gliedstaaten sind finanziell abhängig von der Nationalregierung. Das jährliche Treffen der Premierminister der Bundesländer mit der Nationalregierung degeneriert regelmäßig in einen heftig politisierten Schlagabtausch, genüsslich ausgeschlachtet durch die Medien. Der Konflikt ist besonders übel, wenn in der Hauptstadt eine politische Partei regiert und in der Mehrheit der Bundesstaaten die Gegenseite. Das Treffen gleicht einem Kuhhandel, bei dem es um Milliarden Dollar geht. Rugbypolitik vom Übelsten.
Vielleicht haben Australierinnen und Australier die Hoffnung längst aufgegeben, ihr Schicksal über die Politik beeinflussen zu können. Vielleicht aber hatten sie diese Hoffnung auch nie. Denn in Australien entwickelte sich zumindest auf breiter Basis traditionell kein wirkliches Bewusstsein für die Verantwortlichkeit und die Macht des einzelnen Bürgers. Australierinnen und Australier lieben es zwar, sich als autoritätskritisch zu bezeichnen, als Individualisten. Als Rebellen sogar, die sich gegen die Obrigkeit auflehnen und immer ihren eigenen Weg gehen. Wohl aus diesem Grund wird Ned Kelly von vielen als Nationalheld gefeiert, obwohl er nichts anderes war als ein Dieb, Wegelagerer und schließlich Polizistenmörder. Weil er sich aber jahrelang dem Zugriff der Behörden entziehen konnte und am Galgen endete, wird er noch immer als Symbol des Widerstands des sogenannten »kleinen Mannes« gegenüber dem Staat zelebriert. Doch die meisten Australier sind keine Revolutionäre. In keinem anderen Land, das ich besucht oder in dem ich gelebt habe, habe ich die Menschen als derart autoritätsgläubig empfunden wie in Australien. Viele Menschen fluchen zwar täglich über Politiker, über absurde Vorschriften, über unfaire Regeln. Doch am Ende des Tages werden auch schlechte Gesetze akzeptiert. Und verhängnisvolle Entscheidungen der Politiker werden mitgetragen.
Eine der Ursachen für die Apathie liegt vielleicht in der Geschichte. Seit mehr als zwei Jahrhunderten sind in Australien die Rollen zwischen den Politikern und dem Volk klar verteilt: Machtgeber und Machtnehmer. Seit die ersten Sträflinge, Siedler und Huren 1788 um den Hafen des heutigen Sydney ihre Zelte und Hütten aufstellten, gibt es in Australien jene, die befehlen, und jene, die gehorchen. Politiker sind heute, was in den Anfängen der Sträflingskolonie Gouverneure, Soldaten und Polizisten waren. Seit dem ersten Tag der jungen Kolonie Australien war es das Bestreben der Machthabenden, den Pöbel unter Kontrolle zu halten. Klagen können sie gerne, aufbegehren aber nicht. Es galt das Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. In den Kolonien gab es für die Gehorsamen als Belohnung ein paar Becher süßen Rum. Die Rebellen, oder auch nur die, die sich beklagten, schlossen Bekanntschaft mit der Peitsche, der »sechsschwänzigen Katze«. Benannt nach den sechs Schnüren, die das Strafinstrument der Wahl so gefürchtet machten. Manchmal waren ihre Spitzen mit Blei beschwert. Nach drei Hieben hatte man keine Haut mehr auf dem Rücken. Nach fünf Hieben lagen die Rippen frei. Für viele Delikte gab es Dutzende von Hieben. So mancher Verurteilter flehte den Richter an, ihn lieber am Galgen sterben zu lassen.
»Bullshit! Politik ist uns ganz einfach egal. Solange wir am Abend unser Bier haben, können die Politiker doch machen, was sie wollen!« Das war die Antwort, als ich vor ein paar Jahren mal mit einem Australier, mit dem ich bei einer Veranstaltung in Canberra zufällig ins Gespräch kam, über diese Theorie sprach. Zuckerbrot und Peitsche sind aber auch heute noch wichtige Instrumente im Arsenal australischer Politiker. Wer die Gunst des Volkes will, verspricht ein neues Stadion, billigeres Benzin und eine Autobahn. Bier, Barbecue, amerikanische Seifenopern und am Samstag Rugby in der Glotze. Auf der anderen Seite wächst der Berg von Vorschriften, Regeln und lächerlichen Verordnungen. Verbotsschilder überall. »Kein Alkohol« hier, »kein Skateboardfahren« da, »doppelte Strafpunkte im Feiertagsverkehr«. Das Land ist eigentlich bekannt für »Easy Going«, die lockere, unbeschwerte Art. Weit gefehlt, sagt ein Kenner. »Das Land ähnelt einem Polizeistaat«, schrieb der frühere Südostasienkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Jochen Buchsteiner, nach
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