Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
fünf Euro. Es lief eine Komödie. Sie spielte im Parlament in Canberra, das im Studio offensichtlich bis in alle Einzelheiten nachgebaut war. Auch die Schauspieler glichen den Originalen perfekt. Da war ein Typ, dem damaligen Premierminister Paul Keating wie aus dem Gesicht geschnitten, der die Opposition mit den unflätigsten Worten beschimpfte. Doch auch die Schauspieler der Gegenseite, die Konservativen, hielten sich nicht zurück. Rüpelhaft wie freche Schuljungen räkelten sie sich in den grünen Ledersitzen des Studios, das das Unterhaus darstellen soll. Zwischenrufe und Angriffe unter der Gürtellinie – ein Kabarett erster Klasse. »Eine australische Form der Muppet Show«, dachte ich. Sogar Statler und Waldorf schienen nicht zu fehlen. Wie damals die beiden alten Knacker auf dem Balkon das Geschehen auf der Bühne mit zynischen Bemerkungen und gackerndem Gelächter quittierten, klopften sich hier die Zuschauer auf die Schenkel und grölten.
Es dauerte fünf Minuten, bis ich realisierte, dass ich keine Komödie sah, sondern das echte Parlament. Das Programm war keine Slapsticksendung, sondern die Direktübertragung der sogenannten Fragestunde im Nationalparlament in Canberra.
»Robust« sei sie, die australische Form der Demokratie, sollten mir im Verlauf der Jahre Politiker während Interviews immer mal wieder zu Protokoll geben. Ich habe dafür einen anderen Namen: Rugbydemokratie. Im politischen System in Australien gilt traditionell: Es gibt nur Gewinner und Verlierer. Genauso eben wie beim australischen Nationalsport. Blutige Nase oder goldener Pokal. Schwarz oder Weiß. Feuer oder Wasser. Kompromisse, Konsens gar, werden als Schwäche gewertet, als Einknicken vor dem Feind. Die Folge ist, dass ein wesentlicher Teil der politischen Energie, der größte wahrscheinlich, für den gegenseitigen Schlagabtausch verschwendet wird. Es ist eine Entwicklung, die in den zwanzig Jahren seit unserer Ankunft stetig zugenommen hat, parallel zur Politikverdrossenheit der Bevölkerung. »Ich wage zu bezweifeln, dass 80 Prozent unserer Parlamentarier in der freien Marktwirtschaft überleben könnten«, erzählte mir einmal ein prominenter australischer Unternehmer hinter vorgehaltener Hand. »Als wichtigste Qualifikation, um bei der sozialdemokratischen Laborpartei aufsteigen zu können, gilt, dass man früher Gewerkschaftsfunktionär gewesen ist. Bei den Konservativen muss man die richtige Privatschule besucht haben«, meint er. Politiker zu sein ist in Australien ein Beruf, ausgezeichnet bezahlt, mit generöser Altersvorsorge und einer Vielzahl von Privilegien, die in der Wirtschaft sonst nur Unternehmensführern zustehen – von der Limousine bis zu kostenlosen Flügen um die Welt für Frau und Kinder. Kein Wunder: Die Begünstigten, die Politiker, machen diese Regeln selbst. Regelmäßige Gehaltserhöhungen sind eine der wenigen Vorlagen im Parlament, bei denen sich links und rechts einig sind. Sie werden meist in Windeseile verabschiedet, kurz vor Mitternacht, ohne langatmige Kampfdebatten wie sonst üblich.
Im Volk ist kaum ein Job so schlecht angesehen wie der des Politikers. Wenn es darum geht, die Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit verschiedener Berufe zu bewerten, schneiden Politiker in Umfragen regelmäßig fast so schlecht ab wie Gebrauchtwagenhändler, Versicherungsvertreter und Journalisten. Die Berufe Politiker und Journalist gelten in Australien als die »korruptesten« überhaupt, so eine andere Studie.
Einer der fundamentalen Gründe für die endemische Unzufriedenheit des Volkes mit seinen Vertretern ist wohl, dass Australien von oben nach unten regiert wird statt umgekehrt. Die Nationalregierung in Canberra hat umfassende Macht, die einzelnen Bundesstaaten deutlich weniger – und danach kommt eigentlich nichts mehr. Bürger, Gemeinden – sie werden zu Bittstellern, sie müssen um Rechte feilschen, die ihnen eigentlich zustehen. Dazu kommt ein hochkomplexes Wahlsystem, das unter dem Strich die bereits Mächtigen bevorzugt und »eine Illusion von Demokratie kreiert«, wie es der bekannte unabhängige Parlamentarier Ted Mack einmal ausgedrückt hat. Es ist das Gegenteil von dem, was ich aus der Schweiz gewohnt bin, mit ihrer direkten Demokratie, in der Bürgerinnen und Bürger selbst bei den scheinbar banalsten Entscheiden mitreden können und in der die Gemeinden zu einem wesentlichen Teil ihr eigenes Schicksal bestimmen. Demokratie von unten nach oben eben. Im australischen System dagegen
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