Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
geschützt. Über den Wipfeln der Bäume suchen Keilschwanzadler nach Beute. In den Asthöhlen leben Opossums und Sittiche. Moos bedeckt den feuchten Boden. Zwischen hohen Farnen grasen Wallaby-Kängurus. Wir lassen unser Fahrzeug stehen. Ein paar hundert Meter zu Fuß in den Wald, und wir stehen vor einem Sumpfeukalyptus, einem Baum von atemberaubender Dominanz. Mit bis zu 95 Metern Höhe und einem Umfang von 15 Metern ist der »Eucalyptus Regnans« der höchste Hartholzbaum der Welt und die größte blühende Pflanze, erzählt mir Vica. Bis zu 400 Jahre alt sind die Urwaldriesen im »Tal der Giganten«. Nur zehn Prozent aller tasmanischen Sumpfeukalypten haben die 200 Jahre überlebt, seit die ersten britischen Sträflinge nach Tasmanien kamen und die Abholzung der Wälder begannen. »Ich will, dass mein Kind diese Bäume auch noch sehen kann«, sagt der 31-Jährige. In ein paar Wochen wird er Vater, erzählt er mir stolz. Bayley ist ein ruhiger junger Mann, fast etwas schüchtern, mit rotem Haar und Pferdeschwanz.
Wir fahren weiter, tiefer in den Urwald. Auf einer Anhöhe parken wir unseren Wagen, hinter einem Gebüsch, außer Sichtweite. »Ich hoffe, sie sehen uns nicht«, meint Bayley. Wir gehen ein kurzes Stück durch den Wald. Ohrenbetäubender Lärm. Dieselabgase brennen in den Augen. Wir verstecken uns hinter zwei großen Eukalyptusbäumen.
Mit der Kraft von 250 Pferden donnert der Bulldozer durch das dichte Unterholz. »Rodungsplatz 27« ist eine riesige Wunde mitten im Urwald. Bäume knicken um wie Streichhölzer. Ich sehe, wie mannshohe Farne, Hunderte von Jahren alt, unter den mächtigen Stahlketten zerquetscht werden. Daneben ist ein »Baumverarbeiter« im Einsatz, eine gewaltige Maschine, die den letzten Eukalyptusbaum auf dem Platz packt, fällt, entrindet und auf einen Lastwagen legt. Alles in zwei Minuten. Dann ist Feierabend. Motoren aus. Die Arbeiter stecken sich Zigaretten an und fahren weg. »Versteck dich«, sagt Vica, »wenn die uns sehen, gibt’s Ärger.«
Plötzlich Totenstille. Was ich sehe, erinnert mich an die schwarzweißen Bilder von einem Schlachtfeld im Ersten Weltkrieg. Aus entwurzeltem Gebüsch und aufgewühlter Erde ragen gebrochene Äste zerschmetterter Bäume wie die abgerissenen Gliedmaßen gefallener Soldaten. In ein paar Tagen werden Hubschrauber Tausende von Benzinkugeln abwerfen und das Rodungsgebiet in ein Inferno verwandeln, erklärt mir Vica. »Die Hitze ist so intensiv, dass sich ein Rauchpilz entwickelt wie bei einer Atomexplosion.« Für die Tiere in diesem abgelegenen Stück Wald habe das Grauen erst gerade begonnen, erklärt er mir. »Ist die Feuerapokalypse vorbei und die verkohlte Erde kühl, kommt der Mann mit den Karotten. Er wirft sie zwischen die toten Baumstümpfe, auf die Wege, ins Gebüsch. Aus dem umliegenden Wald kommen Kängurus und Opossums und genießen die Leckerbissen.« Zwei Tage lang. Am dritten Tag seien die Karotten vergiftet. »Es ist ein grausamer Weg in den Tod: Krämpfe, Erblindung, Lähmungen, Panik«, sagt Bayley. Vergiftet werden die Tiere vor der Aussaat neuer Baumsamen. So soll verhindert werden, dass Sprösslinge gleich wieder gefressen werden. Denn die Pflanzung von Monokulturen von Eukalyptusbäumen ist das Endziel der Rodungen in Tasmanien.
Mein nächster Interviewpartner hat keine Zeit für Sentimentalitäten. Die Bäume würden »auch so irgendwann mal sterben«, meint er. Auf 220 Millionen Euro schätzt Evan Rolley den Wert des »erntefähigen« Holzes im Styx-Tal, wie er es im Industriejargon nennt. Der 50-Jährige führt mich stolz durch ein Rodungsgelände. Rolley ist Chef von Forestry Tasmania, der Behörde, die mit der Betreuung der tasmanischen Wälder beauftragt ist – und ihrer wirtschaftlichen Nutzung. Mit Rundglatze, knappgeschnittenem Bart und einem kragenlosen weißen Hemd sieht er aus wie ein Mönch. 1,5 Millionen Hektar Forst sind unter der Kontrolle von Forestry Tasmania. Sie hat laut Gesetz die Aufgabe, die Wälder zu schützen. Doch sie erteilt auch den privaten Holzverarbeitern Lizenzen zur Rodung, nicht nur in Forstplantagen, sondern auch in jungfräulichen Urwäldern. Größter Nutznießer ist die Firma Gunns, einer der größten Holzverarbeiter der Welt. Ihr Chef ist John Gay. Ein Mann, der im Fernsehen kaum einen zusammenhängenden Satz zustande bringt. Doch Gay hat eine Macht, »größer als die des Premiers von Tasmanien«, sagen Kritiker. Er hat sich hochgearbeitet, vom Säger zum Chef der
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