Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
morgendlichen Diskussionen am Kaffeetisch. Trish, die Frau eines Hausarztes, etwa. Sie teilt unsere Ideen: Greentown muss umdenken, und zwar radikal, um wieder groß zu werden. Keine Lagerhallen, keine flächenmäßige Zerstörung mit dem Bulldozer, sondern nachhaltige Jobs. Qualität statt Quantität. Doch wie das geschehen soll, das wissen wir nicht. Und wie wir das den konservativ denkenden Menschen von Greentown beibringen wollen, das wissen wir schon gar nicht. Wir entscheiden uns, eine kleine Gruppe zu gründen. Ich nenne sie »The Greentown Group« oder TGG. Simpel, dafür sind unsere Ziele spektakulär. Wir wollen nicht weniger als die Welt verändern, jedenfalls unsere Welt. Hier, vor unserer Haustür. Demokratie von unten, Macht dem Einzelnen. Kein Rezept, um sich Freunde zu machen in diesem Land.
Unsere Kinder wachsen, und unser Shed scheint zu schrumpfen. Meine Büro-»Ecke«, die ich mir eingerichtet hatte, nimmt inzwischen unser halbes Schlafzimmer in Beschlag. Ein Büchergestell, zwei riesige Aktenschränke, dazwischen unser Bett. Und das alles auf 20 Quadratmetern. Christine klagt, die letzten Töne, die sie am Abend vor dem Einschlafen höre, seien nicht ein zartes »Schlaf gut« ihres Mannes, sondern das Tippen meiner Finger auf der Computertastatur. »Zum Glück bin ich auf einem Ohr taub«, witzelt sie. So könne sie sich umdrehen und habe ihre Ruhe. Ehefreundlich ist das Leben auf kleinem Raum sicher nicht. Auch das Kinderzimmer wird immer enger. »Wir müssen was tun«, sage ich. »Bauen oder abhauen«, antwortet Christine.
Abhauen sicher nicht.
Für uns ist inzwischen klar, dass wir hierbleiben wollen, zumindest auf absehbare Zeit. Samuel geht in die Primarschule, David in den Kindergarten. Entwurzeln wäre keine Option. Weshalb auch? Zum ersten Mal in meinem Leben, nach drei Jahrzehnten des Wohnens hier und des Lebens da, habe ich das Gefühl, zu einer Gemeinde zu gehören. Den Menschen in TGG sei Dank. Christine geht es genauso, als Gemeindekrankenschwester. Sie ist sehr beliebt bei ihren Patienten. »Die Blonde mit dem deutschen Akzent« nennen sie sie. Sogar die alten Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg an der Seite der Briten gegen Deutschland gekämpft haben. Einige hatten anfänglich Schwierigkeiten damit, dass plötzlich ein Kraut ihnen die Insulininjektion gab. »Aber Christine ist ja nicht Hitler«, meinte einer. Nur einmal lehnte ein alter Mann kompromisslos ab, von ihr behandelt zu werden.
Unser Alltag ist so wie der vieler Familien, die auf dem Land wohnen. Jeden Morgen die Kinder aus dem Bett jagen, frühstücken, hetzen und dann sieben Kilometer fahren. Wo unsere Straße in eine Hauptstraße mündet, hält jeden Morgen der Schulbus. Dort stehen in Reih und Glied die Briefkästen all der Leute, die an unserer Straße wohnen. Aber nicht wie in Europa genormt, sondern in einer chaotischen Vielfalt von Formen, Farben und Größen. Unser Postbote fährt jeden Tag über 200 Kilometer, um seine Runde zu machen.
Das ist allerdings nichts im Vergleich zu der Strecke, die Tom zu bewältigen hat, den ich für eine Reportage im Sonnenbundesstaat Queensland begleite. Scharfer Seitenscheitel, frisch gebügeltes weißes Hemd und schwarz-goldene Schulterabzeichen. Der junge Australier gleicht eher einem Filmstar als einem Postboten. Und doch ist Tom genau das: Er liefert die Post. Allerdings ist sein Transportmittel nicht ein kleines Auto oder gar ein Fahrrad, sondern eine viersitzige Cessna. Das kleine Propellerflugzeug steht auf dem Flugfeld vor dem Privathangar in Cairns. Tom bedient einen der längsten Postlieferkreise der Welt: 1250 Kilometer, fünf Starts und Landungen, die meisten davon in einer der unwirtlichsten Gegenden, die man sich nur vorstellen kann. Ein langer Tag.
Es ist fünf Uhr früh, aber Tom ist hellwach. »Es lohnt sich, wenn man sein Gerät sehr gut checkt«, sagt er und montiert sich die Sonnenbrille. Keine teure »Ray-Ban Aviator« wie die Starpiloten im Fernsehen, sondern ein Billigmodell aus dem Supermarkt. Trotz ihrer Verantwortung und trotz der nicht unwesentlichen Gefahren, denen sie sich aussetzen, sind australische Buschpiloten generell schlecht bezahlt. Aber den Job als Outback-Pilot macht man nicht wegen des Geldes, sondern wegen der Erfahrung, die er bietet. Innerhalb weniger Monate kann Tom so viele Kilometer fliegen, dass er seine Fluglizenz eine weitere Stufe anheben kann. Bis eben dahin, wo die meisten jungen australischen Piloten hinwollen: in den
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