Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
Diskussion, keine Bestechungsversuche nützen etwas, nicht mal der größte Lutscher, nicht mal eine Stunde Sesamstraße. Christines Vater in Nürnberg und meine Eltern in der Schweiz waren natürlich überglücklich, nach Jahren endlich wieder ihre beiden Enkel aus Australien zu sehen. Vier Wochen totale Verwöhnung, mit Besuchen im Europapark, im Zoo, im Spielwarenhaus. Die Jungs genossen die Zeit mit ihren Cousins, mit ihren Tanten und Onkeln. Die Kommunikation war kein Problem. Wir sprechen zu Hause Hochdeutsch und Schweizerdeutsch mit den beiden. Sowohl Samuel als auch David verstehen die Sprachen nicht nur, sie sprechen sie auch fließend. Wenn sie wollen.
David wollte nicht. Während des gesamten Besuchs in der Schweiz und in Deutschland kommunizierte der Kleine mit meiner Familie nur auf Englisch. Er trieb meine Mutter, die kein Englisch spricht, an den Rand der Verzweiflung. Einmal mehr zeigte kein Bestechungsversuch Wirkung, der Kleine gab nicht nach. Er verstand zwar jedes Wort, das meine Mutter sagte, doch die Antwort kam immer auf Englisch. Noch am Flughafen gab es ein »Bye« statt einem »Tschüs«. Und jetzt, endlich wieder zu Hause, scheint der Kleine den Spieß umgedreht zu haben. Das Problem ist, dass Kylie noch weniger Deutsch spricht als meine Mutter Englisch. »Ich hoffe nur, dass er wieder umschaltet«, meinte die Kindergärtnerin. Das tat er dann auch. Eine Woche später, von einem Tag auf den andern.
Vielleicht wird mir eines Tages ein Kinderpsychologe sagen, die Sprachverweigerung sei ein Zeichen für Davids Trauma gewesen, weil er plötzlich erkannte, dass er eine noch weitaus größere Familie hat als nur uns drei, und mit dem Schock nicht umgehen konnte. Ich glaube es zwar nicht wirklich, trotzdem würde eine solche Analyse unser schlechtes Gewissen nur vergrößern.
Wie viele Auswanderer fragen wir uns immer wieder, ob wir mit unserer Entscheidung, am Ende der Welt zu leben und uns unseren Traum zu verwirklichen, nicht völlig egoistisch handeln. Australien ist ja nicht Frankreich oder Spanien, wo man sich einfach ins Flugzeug setzen kann oder in den Zug, und schon ist man wieder zurück in der Heimat. Wir verweigern unseren Kindern die Chance, mit Großeltern aufzuwachsen, mit Cousins, mit einer großen Familie. Kein noch so lieber älterer Nachbar kann komplett den Opa ersetzen oder die Oma. Und deren einzigartige Form der Vertrautheit, der Zuneigung, der Liebe.
Selbstverständlich gilt dasselbe auch umgekehrt. Sowohl Christines Vater als auch meine Eltern haben zwar viele Enkel – zwei aber fehlen immer am sonntäglichen Mittagstisch. Sie fehlen bei der Weihnachtsfeier, sie fehlen bei Wanderungen, sie fehlen auf der Kirmes. Ich weiß, dass unsere Eltern sie vermissen – und wohl auch uns. Doch sie würden uns nie kritisieren. »Wichtig ist, dass ihr glücklich seid«, sagt meine Mutter nur.
Wir versuchen, unseren Kindern ein Bewusstsein für die Herkunft ihrer Eltern zu geben. Die Sprache ist nur ein Beispiel, wie wir die Bindung nach Europa halten. Wir haben auch Essenstraditionen, an die wir uns mit gelegentlich absurder Striktheit halten. So gibt es jeden Samstagabend – sogar mitten im Hochsommer – Raclette. Das Schmelzen von Käse, das Schälen der Kartoffeln, dazu eingelegte Gurken – es ist eine urschweizerische Tradition, die in ähnlicher Form auch in Deutschland zumindest an Festtagen gepflegt wird.
Diese Gewohnheit ist in Greentown inzwischen schon so bekannt, dass sich gelegentlich sogar Gäste anmelden. Unsere Freunde und Bekannten lieben das Ritual am Racletteofen. Das Zubereiten, das langsame Essen, die Gemeinschaft, die das Teilen von Platten, Tellern und Gewürzen am Tisch bietet; es ist das pure Gegenteil des üblichen australischen Familienessens vor der Glotze. Ein Steak, ein paar Fritten, und nach ein paar Minuten ist alles vorbei. Der Käse kommt hier aber nicht aus der Molkerei, sondern aus der Kühltheke bei Aldi. Seit über zehn Jahren mischt der deutsche Konzern erfolgreich den zuvor von den zwei australischen Großverteilern Woolworth und Coles kontrollierten Einzelhandelsmarkt auf. Das Aldi-Prinzip gilt auch in Australien: kleineres Angebot, alles auf Paletten, gute Preise. Wer in Greentown in die Aldi-Zweigstelle geht, wähnt sich in München oder Nürnberg. Dieselbe Aufteilung, dieselben Farben und oft sogar dieselben Produkte. Ich treffe in unserer Filiale immer wieder Australientouristen aus Deutschland, die große Umwege gefahren sind,
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