Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
funktioniert. Die Maschine war einst ein Jeep, heute hat das Ding kein Dach mehr. Eigentlich ist es nur noch ein Gerüst mit zwei Sitzen. Auf der Seite haben die beiden eine Art stählernen, gebogenen Arm angeschweißt, der sich heben lässt. Das ganze Fahrzeug ist umrahmt von alten Autoreifen, »gegen die Angriffe«, sagt Jack. Wenn Jock und Jack einen Büffel sehen, versuchen sie, parallel zum Tier zu fahren. Wenn ihnen das gelingt, senken sie den Stahlarm über das Tier. Er klammert sich um den Hals des Büffels. Das Auto bremst, der Büffel wird gefesselt und mit einer Seilwinde auf einen Wagen geladen. Von dort geht’s dann in ein Gehege. Wenn genügend Büffel zusammen sind, werden die Tiere an einen Schlachthof verkauft.
So einfach ist es aber selten. Büffel sind extrem aggressive und starke Tiere. Große Bullen werden über eine Tonne schwer. Sie mit dem mechanischen Arm zu fangen, gelingt in den seltensten Fällen beim ersten Mal, erklärt Jock. Die Tiere laufen im Galopp davon. Wenn Jack und Jock mit ihrem Fahrzeug neben ihnen fahren, greifen die Büffel an. »Einmal hat einer den ganzen Jeep hochgehoben«, erzählt Jack. Das Fahrzeug überschlug sich und landete auf den beiden, »die Gangschaltung genau in meinem Auge«. Vier Stunden hätten sie unter dem Auto ausharren müssen, bis Hilfe gekommen sei. Während dieser ganzen Zeit habe Jack den Knopf des Schalthebels in seiner Augenhöhle gehabt. »Dann drehten wir das Fahrzeug wieder um, und es sprang an, als ob nichts gewesen wäre«, erzählt Jock. Dass Jack bei dem Unfall ein Auge verloren hatte, scheint ihn weniger gekümmert zu haben als das Überleben seines Büffelfängers. Die Logik des Buschmanns im australischen Outback: Ein derart spezialisiertes Fahrzeug zu ersetzen ist ein teures Unterfangen und vielleicht sogar eine Frage der Existenz. Augen dagegen hat man schließlich zwei.
Weiter nach Normanton. Mittagspause. Die kleine Stadt am südlichen Ende des Golfes von Carpentaria dient in erster Linie als Versorgungsstation für die umliegenden Viehfarmen und für die Fischer, die in den reichen Gewässern des tropischen Nordens arbeiten. Es gibt nichts hier, außer ein paar Häusern, miserablem Kaffee und ein paar herumlungernden Straßenkötern. Doch wir sind froh, nach diesem turbulenten Morgen zwei Stunden entspannen zu können. Im Pub bestellen wir »Steak and Chips«. Was denn auch sonst, in einem Gebiet des Landes, in dem es deutlich mehr Rinder als Menschen gibt und wo die Schnitzel nicht nach Gewicht gemessen werden, sondern danach, ob sie auf den Teller passen? Als die Kellnerin mit den drei Steaks kommt, fällt Kim beinahe vom Stuhl. Jedes Rumpsteak ist so groß, so dick, dass man damit problemlos eine vierköpfige Familie versorgen könnte. »Ich habe noch nie in meinem Leben so ein Stück Fleisch gesehen«, flüstert Kim und rennt hinaus, auf die Toilette. Als er nach zehn Minuten wiederkommt und Tom und ich uns durch das erste Drittel unseres Steaks gearbeitet haben, zieht er eine Tüte aus seinem Rucksack. »Sind Sie brüskiert, wenn ich etwas anderes esse?«, fragt er Tom. An der Bar bestellt er sich einen Topf heißes Wasser. Darin löst er eine Tüte koreanische Nudelsuppe auf. Aus einem anderen Beutel zieht Kim ein Stück getrockneten Fisch, dazu etwas »Kimchi«, koreanisches Pökelgemüse. Er tunkt alles in die Suppe, Stück für Stück. Ganz wie zu Hause. Zum ersten Mal an diesem Tag sehe ich in Kims Augen so etwas wie Zufriedenheit. Langsam und in voller Lautstärke schlürft er die Nudeln in sich hinein. Die halbe Kuh bleibt unberührt auf seinem Teller liegen.
KAPITEL 25
»Ich muss mit Ihnen sprechen«, sagt Kylie, die Kindergärtnerin. Das hört sich nicht gut an. Während ich mich in der Wildnis herumgeschlagen hatte, waren Christine und die Jungs von einem vierwöchigen Besuch in Europa zurückgekommen. David war immer noch etwas erschöpft, als ich ihn heute Morgen in den Kindergarten gebracht hatte. Vom Haus meiner Eltern in der Schweiz bis zu uns nach Wombat Creek dauert die Reise immerhin gut 30 Stunden. Da fährt einem der Jetlag ganz schön in die Knochen. Hoffentlich hat sich David nicht verletzt, denke ich, so übermüdet und erschöpft, wie er ist.
»Nein, das Problem ist ein ganz anderes«, sagt die Kindergärtnerin. »Ich verstehe deinen Sohn nicht mehr. Er spricht nur noch Deutsch.«
Der kleine Bengel. Seit er ein Baby war, ist er ein Starrkopf. Wenn er nicht will, dann will er nicht. Basta. Keine
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