Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
um mit einem Einkauf bei Aldi ihr Heimweh lindern zu können. Und um deutsche Gummibärchen zu kaufen.
Raclette, Sprache und – natürlich auch für uns – Gummibärchen sind die einfachsten Möglichkeiten, unseren Kindern ein Bewusstsein für ihre zweite und dritte Heimat zu geben. Reisen nach Europa sind aber natürlich das Sahnehäubchen. Leider sind die Flüge so teuer, dass wir höchstens alle fünf Jahre losziehen können. Für die Kinder ist eine solche Reise aber jedes Mal ein Flug ins Paradies. Sie genießen die Schweizer Berge, sie lieben den Gang durch die Nürnberger Altstadt. »Die Kultur in Europa«, sollte Samuel als Zehnjähriger sagen, als wir einmal vor der Lorenzkirche auf dem Nürnberger Hauptmarkt standen, »ich liebe sie.«
*
Bier an einem lauen Sommerabend, auf der Veranda von Freunden. Ich unterhalte mich mit Keith. Ich sei Schweizer, erzähle ich ihm. »Ah, Schweden«, sagt er. »ABBA und Schokolade.« Einmal mehr erkläre ich, dass »Swiss« und »Swedish« nicht dasselbe sind. Und dass Christine Deutsche ist – nicht Ostdeutsche, nicht Westdeutsche, sondern Deutsche eben. Doch auch damit hat Keith Mühe. »Die Mauer ist schon 1989 gefallen«, erkläre ich dem 39-Jährigen. »Welche Mauer?«
Die unschuldige, fast kindliche Ignoranz, die so viele Australierinnen und Australier gegenüber dem Rest der Welt haben, und der scheinbare Mangel an Wissen und Weltblick, sie erstaunen mich bis zum heutigen Tag. Australien sei das »Arsch-Ende der Welt«, hatte der frühere Premierminister Paul Keating 1990 gesagt. Ein hartes Urteil, aber nicht ohne Substanz. Ist es der physische Abstand vom Rest der Welt, das Gefühl, auf einer riesigen Insel zu leben, das zur Ignoranz beiträgt? Früher wahrscheinlich schon. Doch heute? Internet, rund um die Uhr Nachrichten im Fernsehen, ein Ausbildungssystem, modern, weltoffen. Leider ist das Schulsystem in Australien jedoch schlechter als in den meisten anderen Industriestaaten – schlechter geworden. Seit Jahren geht es abwärts mit der Qualität. Ein Trend, der parallel zur rückläufigen Unterstützung von Schulen und Ausbildung durch den Staat verläuft. Das hat Konsequenzen. Im Durchschnitt – und ich sage das mit allem Nachdruck, denn spektakuläre Ausnahmen gibt es unzählige – verfügen australische Schüler in Mathematik über das Wissen, das in Asien zwei Jahre jüngere Kinder haben. Im Lesen und Schreiben beträgt der Abstand ein gutes Jahr.
Die Entscheidung, wo Samuel und David zur Schule gehen sollen, bereitet mir schlaflose Nächte. Es ist wohl die schwierigste, die wir seit unserer Ankunft in Australien treffen müssen. Nicht dass wir keine Auswahl hätten. Wie in den meisten Städten Australiens, selbst in kleineren, gibt es auch in Greentown eine Vielzahl öffentlicher und privater Schulen. Die öffentlichen werden vom jeweiligen Bundesstaat geführt und finanziert, der den Schulplan festlegt und kontrolliert, die Lehrer anstellt, die Gebäude unterhält. Die privaten Schulen werden in der Regel von einer Kirche geführt, der katholischen und der anglikanischen meistens. In den Großstädten gibt es vereinzelt auch jüdische und muslimische Schulen.
Alle Schulen – ob öffentlich oder privat – müssen aber dieselben Anforderungen erfüllen, dieselben Lernziele verfolgen. Am Ende der Ausbildung, am Ende der »High School«, steht das High School Certificate oder HSC. Es entspricht dem deutschen Abitur und der Matura in der Schweiz. Jeder Schüler muss es machen, egal, ob er auf eine öffentliche Schule geht oder eine private.
Doch damit hört die Gleichheit auf. Zwischen den Mitteln, die Kindern in vielen Privatschulen zur Verfügung stehen, und denen, die ein Kind in einer öffentlichen Schule genießt, können monumentale Unterschiede bestehen. »Im australischen Schulsystem zeigt sich am deutlichsten, wie sehr der vielgefeierte Egalitarismus, die Gleichheit aller Australier, die Klassenlosigkeit, ein Mythos ist«, erzählt mir Lynn. Sie muss es wissen. Sie hat 31 Jahre lang als Lehrerin gearbeitet. In öffentlichen Schulen und in privaten.
Bei Lynn holen wir Rat, als es darum geht, für Samuel die richtige High School zu finden, die Oberstufe. In der High School gehe es ums Eingemachte, sagt sie. »Wenn die nicht gut ist, kann sich das auf das Leben eurer Kinder negativ auswirken, auf ihre beruflichen Chancen und sogar auf ihre politische Karriere, sollten sie jemals eine wählen«, sagt Lynn. Mit der Primarschule
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