Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
meine Grenze. Mit knapper Not kann ich verhindern, dass auch mir das Frühstück hochkommt. Tom öffnet einen kleinen Schieber am Fenster und lässt frische Luft in die Kabine. »Scheiße«, höre ich ihn durch den Kopfhörer sagen. Während ich verzweifelt gegen den Brechreiz kämpfe, versinkt Kim in Scham. »Sorry, sorry, sorry«, sagt er immer wieder. Mit einem Papiertaschentuch versucht er, seinen Mageninhalt vom Lammfellüberzug meines Sitzes aufzuwischen. Keine Chance. Es ist viel zu viel. Das müssen mindestens zwei Schalen Nudelsuppe gewesen sein.
Kollektives Aufatmen, als wir endlich zum nächsten Landeanflug ansetzen. Wieder dieselbe Prozedur. Diesmal warten ein Mann und eine Frau am Rand der Piste. Daneben gleich das Homestead, das Haupthaus der Farm. »Was ist denn mit euch passiert?«, fragt Emma, als wir bekleckert aus der Maschine klettern. Sie bietet uns an, die Kleider zu waschen, doch dafür reicht die Zeit nicht. So spülen wir die Nudeln behelfsmäßig aus Jeans und T-Shirt. Kim leert auch seine Kameratasche, die er in seiner Not als Kotztüte missbraucht hat. Ein Schluck Tee für mich und Tom, ein Glas Wasser für Kim, ein Wort des Dankes von uns allen. Und schon sind wir wieder in der Luft. Kim ist so erschöpft, dass er augenblicklich einschläft. Mit seinem Kopf lehnt er sich an die Scheibe. Eine gute halbe Stunde lang. Als er wieder aufwacht, ist die linke Seite seines Gesichtes knallrot. Sonnenbrand.
Der Tag wird einfach nicht besser für meinen Kollegen.
Wieder Landung, wieder problemlos. Wir fühlen uns schon fast wie Buschpiloten. Diesmal wartet niemand auf uns. »Die kommen schon«, sagt Tom, »sie sind immer zu spät.« Und tatsächlich. Als unsere Maschine zum Stillstand kommt und Tom den Motor ausmacht, sehen wir in etwa 200 Metern Distanz eine Staubwolke. Sie kommt rasch näher. Ein paar Sekunden später donnert etwas mit rasender Geschwindigkeit auf uns zu. Ein Monster, das den Namen Fahrzeug ausschließlich deshalb tragen darf, weil es fährt. Wie, das ist mir schleierhaft. Als sich die Staubwolke legt, steigen zwei Typen aus. »Jack und Jock«, sagt Tom. Wenn man so aussieht, kann man wohl nur so heißen. Beide sehen aus, als ob sie gerade von einem wilden Büffel angefallen worden wären. Jack hat nur ein funktionierendes Auge, das andere ist aus Glas, aber unglaublich schlecht eingepasst. Wenn Jack blinzelt, bewegt sich das Glasauge und ist plötzlich komplett weiß, oder es schaut in eine ganz andere Richtung als das andere Auge. Hochgradig irritierend, genau wie die Kleidung der beiden. Halbzerrissene Hemden – oder zumindest glaube ich, dass es mal Hemden waren – und Shorts, so eng, dass Jock die Hälfte seines Familienglücks an der frischen Luft trägt. Beide Männer haben wohl schon seit Wochen keinen Rasierer gesehen, von einem Friseur ganz zu schweigen. Kim, mein bedauernswerter koreanischer Journalistenkollege, starrt mit offenem Mund zwischen Jocks Beine. Er muss glauben, er sei am Ende der Welt gelandet. Was ja eigentlich auch stimmt, wenn ich mir das so überlege. Ich stelle mir vor, welchen Kulturschock der arme Kerl gerade durchmacht. Letzte Woche war Kim ein erfolgreicher Finanzjournalist in der Innenstadt von Seoul, mit Maßanzug und Krawatte, der noch nie zuvor im Ausland gewesen war. Dann nippte er in Anwesenheit von Notenbankchefs und Starökonomen in einem Fünfsternehotel in der Innenstadt von Sydney teuren Chardonnay. Und jetzt steht er hier, mitten im buchstäblichen Nirgendwo, in einem gottverlassenen Ort, und schaut zwei Halbwilde an, von dem einer sein Geschlechtsteil zur Schau trägt, als wäre es das Normalste auf der Welt. »Jock und Jack, das sind Kim und Urs«, stellt uns Tom vor. Jocks Händedruck ist so stark, dass ich glaube, er müsse mir mindestens zwei Fingerknochen gebrochen haben. Jack und Jock wohnen seit vielen Jahren auf dieser isolierten Farm. Die beiden leben nicht nur von der Rinderzucht, sondern vom Einfangen wilder Büffel. Asiatische Wasserbüffel wurden schon vor Jahren eingeführt. Wie Pferde und Schweine, aber auch Kamele, vermehrten sie sich in der neuen Heimat wie Kaninchen. Mit allen negativen Folgen: Ihre harten Hufe zerstören den Boden, das fördert die Erosion, und mit ihrem Dung verbreiten sie die Samen von ebenfalls eingeführtem Unkraut. Büffel haben jedoch einen Vorteil: Man kann sie essen. Aber erst muss man sie erwischen.
Da kommt Jocks und Jacks »Fahrzeug« ins Spiel. Jock erklärt uns stolz, wie es
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