Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
hatten wir Glück gehabt. In Greentown gibt es eine kleine, ländliche Schule, die sich an den Philosophien von Maria Montessori und Rudolf Steiner orientiert. Eine auf das Kind fokussierte Ausbildung. Ohne aber so viel zu kosten wie andere spezialisierte Privatschulen. Nur ein paar hundert Dollar im Jahr. Nicht Zehntausende.
Die bekanntesten Privatschulen verlangen Gebühren, die mehr als der Hälfte des Durchschnittsgehalts in Australien entsprechen. Es versteht sich von selbst, dass Durchschnittsverdiener ihre Kinder nicht an eine solche Schule schicken können. Das garantiert, dass die Schulen exklusiv bleiben. Denn sie haben eine entscheidende Funktion in der australischen Gesellschaft, erklärt Lynn. »Etwa fünf Privatschulen in Sydney, Melbourne, Perth, Adelaide und Brisbane sind die Schmiede der politischen und wirtschaftlichen Elite der Nation. Wer nicht in einer dieser Schulen war, hat deutlich geringere Chancen, es wirklich zu etwas Großem zu bringen im öffentlichen Leben.« In den Privatschulen werden Beziehungen aufgebaut, die ein Leben lang halten, Seilschaften werden geformt, Gruppierungen gebildet. Kings School und Knox Grammar in Sydney, Scotch College in Melbourne: Wie in Eton in Großbritannien, wo künftige Premierminister und Prinzensöhne gemeinsam mit sauber gekämmten Jungs von Industriellen im Frack durch die Hallen wandeln und auf ihren exklusiven Status im Leben vorbereitet werden, wird in Kings, Knox und Scotch die herrschende Klasse Australiens gezüchtet, die höchste Kaste. Ab 20 000 Euro Grundgebühr – dazu kommen nochmals mindestens so hohe Nebenkosten – legen Eltern pro Jahr und Kind für das Privileg hin.
Doch gegen das, was der Steuerzahler beisteuert, sind diese Schulgebühren ein Klacks. »Der Fiskus privilegiert die Privilegierten«, klagt Lynn. Zwar erhält ein Kind, das eine staatliche Schule besucht, eine leicht höhere Grundunterstützung als ein Kind in einem privaten Institut. Entscheidend sind aber die Subventionen. Ganze 36 Milliarden Dollar flossen in den Jahren 2009 bis 2013 in die Kassen von ohnehin mehr als wohlhabenden Privatschulen – mehr noch, als der Staat den Universitäten zusteuert. Während der Fiskus Kinder an besonders benachteiligten öffentlichen Schulen mit jährlich etwa 500 Dollar zusätzlich unterstützt, kommt ein Schüler in einer Privatschule so in den Genuss von zwischen 3000 und 5000 Dollar. Die Befürworter hoher staatlicher Subventionen sagen, dass auf diese Weise auch Eltern mit geringem Einkommen die Möglichkeit haben, ihre Kinder in eine exklusive Privatschule zu schicken. Doch dieses noble Ziel wurde in den letzten Jahren selten erreicht. Denn die Schulen erhöhten gleichzeitig ihre Gebühren. Einige verdoppelten sie. Die Personalkosten seien höher geworden, so ihre offizielle Begründung. »Kompletter Unsinn«, sagt Lynn. »Der Grund für die Gebührenerhöhungen war einzig, zu garantieren, dass man unter sich bleibt. Das Privileg muss ein Privileg bleiben.«
Es ist kein Zufall, dass der raketenhafte Anstieg der Unterstützung von Privatschulen in der Zeit der Regierung des konservativen Premierministers John Howard ihren Höhepunkt erlebte. Howard war ein Verfechter klassischen neoliberalen Gedankengutes: Wer eine gute Ausbildung will, soll dafür bezahlen. Derweil müssen viele staatliche Schulen um jeden Dollar kämpfen. Denn die vom Staat zur Verfügung gestellten Mittel reichen oft nicht. So kommt es, dass sich die wohlhabendsten Schulen Australiens luxuriöse Tennishallen leisten können, einen Barista in der Kantine und die neusten Computer im Technologielabor. Viele Staatsschulen müssen dagegen Flohmärkte organisieren und Kuchen backen, um mit dem Geld Bücher für den Unterricht kaufen zu können. Egalitarismus ade – in einem Land, dessen Gründer es trotz der tiefverwurzelten britischen Tradition als zwingend empfunden hatten, Schulbildung außerhalb des Klassendenkens anzubieten. Australien war der erste Kontinent, der öffentliche Schulen eingeführt hatte – kostenlos, säkular und obligatorisch für alle. Die Forderung der Kirchen aber, ihre eigenen Moralvorstellungen in der Gesellschaft zu festigen, machte diesem Prinzip der gleichen Chancen für alle den Garaus.
Christine und ich halten es mit der mitteleuropäischen Tradition: Schulausbildung ist ein Grundrecht, kein Privileg. Für alle Kinder und für alle Kinder gleich. Trotzdem sind wir pragmatischer als viele Kritiker. »Ich glaube, solche
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