Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
wie man ein Bullenkalb mit einem Taschenmesser in zehn Sekunden kastriert – ohne Betäubung. Und wie man einem Hund den Gnadenschuss gibt, wenn er nicht mehr gehorchen will. Auf dem Land wird nicht lange gefackelt. »Country Women«, australische Landfrauen, wissen, wie man anpackt. Und sie sind sehr konservativ – daneben würde selbst Margaret Thatcher wie eine Linke aussehen. Jedenfalls dürften die wenigsten Frauen hier so offen für neue Ideen sein wie Corina und Trish. Für diese Damen in ihren bunten Kleidern und selbstgestrickten Wollpullovern ist schon eine Flasche süße Chilisauce auf dem Tisch exotisch. Hier, auf dem Land, isst man den Lammbraten mit Pfefferminzsauce. So wie man das schon im Mutterland England gemacht hat. »God Save the Queen«, singen sie in der Country Woman Association. Vor jeder Versammlung und danach.
Und jetzt steht hier ein Typ, der mit Akzent spricht, aus einem Land irgendwo in Europa kommt, in dem Steuerhinterzieher ihr Geld verstecken, und er erzählt von »grünen« Industrien, intelligenten Jobs, Klimawandel.
Ich hole weit aus. Wie die »Solarrevolution« in Deutschland einen neuen Wirtschaftszweig geschaffen hat, mit Zehntausenden von neuen Arbeitsplätzen. Dass ausgerechnet dieses mitteleuropäische Land, wo man die Zahl der Sonnentage selbst in einem guten Monat an zwei Händen abzählen kann, dass dieses trübe, mit Menschen übervolle Land den Weltrekord in der Produktion von Solarstrom hält. »Ist das nicht absurd?«, frage ich in die Runde. »Wo wir es doch sind, die im sonnigsten Land der Welt leben?« In Australien könnten wir unseren gesamten Strombedarf mit alternativer Energie decken. Das beweisen Studien eindeutig. Stattdessen verbrennen wir Kohle, einen der schlimmsten Klimakiller auf dem Globus. »Deswegen ist unser Land, pro Kopf der Bevölkerung, einer der übelsten Klimasünder der Welt.«
In den Gesichtern vieler dieser Frauen ist das Lächeln wieder verschwunden. »Ein Grüner, aha.« Man muss nicht Gedanken lesen können, um zu sehen, dass ich in der Achtung dieser Frauen innerhalb von Sekunden tief gefallen bin. Ich hätte mich genauso gut als Kindermörder outen können. Ein »Grüner« zu sein ist für viele Australier ähnlich abscheulich.
Doch ich rede weiter. Ich erzähle, wie in Europa mit geschickter und innovativer Politik, mit neuen Ideen, mit dem Ausbau des öffentlichen Verkehrs neues Leben in Orte genau wie Greentown gebracht wurde. Neue Leute zogen in diese Dörfer und Städte, »Treechanger« nennt man sie. Menschen, die der Hektik der Großstadt den Rücken kehren und aufs Land ziehen. Mit ihnen kommen Familien, neue Ideen, neues Kapital. Sie seien erwiesene »Job-Creators« – direkt und indirekt schaffen sie Arbeitsplätze. Sie bringen meist ein eigenes Geschäft mit oder eine Geschäftsidee, sie stellen lokale Leute als Mitarbeiter an. »Sie kaufen hier ein, auf dem Land, nicht in der Großstadt. Sie gehen hier zum Arzt, sie bauen hier Häuser«, sage ich. Sie kurbeln die lokale Wirtschaft an. »Schauen Sie mich an. Mein Baumeister ist aus Greentown, mein Maurer, mein Klempner.«
Endlich wieder ein verhaltenes Lächeln auf einigen Gesichtern.
Meine Begeisterung für diesen Ort, in dem die Familien vieler dieser Frauen seit Generationen leben, überrascht einige meiner Zuhörerinnen. »Manchmal braucht es jemanden, der von außen schaut, um einem bewusstzumachen, was man eigentlich hat«, sage ich. »Das geht uns doch allen so.« Die noch relativ wenig beschädigte Landschaft um Greentown, die Hügel, die Täler, die Wälder, aber auch die Landwirtschaft und die für australische Verhältnisse alten Gebäude »sind Aktivposten«, erkläre ich. »Sie zu zerstören macht schon aus wirtschaftlichen Gründen keinen Sinn. Denn sie können die ökonomische Zukunft von Greentown sein, das Fundament.« Ich schlage vor, auf dem Bestehenden aufzubauen. »Wir haben gute Leute hier, Menschen, die arbeiten können, arbeiten wollen. Was sie jetzt brauchen, ist eine neue Aufgabe.« Greentown, perfekt gelegen zwischen zwei Großstädten, sei ein idealer Ort für den Aufbau von neuen Industrien, nachhaltigen Wirtschaftszweigen. Solarindustrie, Forschung und Entwicklung von alternativen Energien, umweltfreundlichen Baustoffen. »Damit schaffen wir hier nicht nur Arbeitsplätze, wir schaffen Jobs für die Zukunft.«
Verhaltener Applaus. Dann geht’s wieder zurück zu Eiern und Speck.
»Phantastisch«, sagt Corina, als ich mich zu ihr
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