Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
Abzugshahn legte. Zwischen Anpeilen und Schuss vergingen keine drei Sekunden. 100 Meter weiter, wo der Lichtkegel des Scheinwerfers in das Dunkel der Nacht überging, fiel ein Känguru zu Boden. Lombardo drückte auf das Gaspedal seines Toyota-Kleinlasters und raste über Büsche und Steine dem Tier entgegen. Jede Sekunde zählte. »Wir müssen es sofort ausbluten«, erklärte er. »Sonst wird das Fleisch unbrauchbar.« Der 37-Jährige sprang aus dem Wagen, in der Hand ein Messer mit langer, dünner Klinge. Ich hechtete hinter ihm her. In der Dunkelheit sah ich die Wurzel nicht, die aus dem Boden ragte, und fiel, Gesicht voran, in eine Lache von Blut und Hirnmasse. Das Känguru war eindeutig tot; sein Kopf von der Wucht des Geschosses zerschmettert. Lombardo griff nach einem Hinterbein und wuchtete das Tier hoch. Sein Wagen war eine fahrende Metzgerei, eine von Chromstahl glänzende und nach Reinigungsmitteln riechende Schlachtanlage. Er hängte das Känguru an einen Haken und zeigte im Schein meiner Stirnlampe auf den Brustkorb des Tieres. »Siehst du, das Herz schlägt noch«, erklärte er, »aber nur noch ein paar Sekunden.« Mit einem Stich zwischen die Rippen zerschnitt er die Hauptschlagader des ersten Tieres dieser Nacht. Das helle arterielle Blut spritzte aus dem Körper auf den roten Sand der Wüste. Es versickerte nicht gleich, sondern perlte in einem kleinen Rinnsal über den quarzhaltigen Boden. »So, weiter geht’s«, sagte Kristen, und wir schwangen uns wieder ins Auto. »53 noch, und ich kann Feierabend machen.«
Die Jagd nach dem australischen Wappentier ist nichts für Leute mit schwachen Nerven. Mitten in der Nacht in der Unendlichkeit des Outback, 1000 Kilometer westlich von Sydney, Kleider und Gesicht von Blut und Hirnmasse verschmiert – da stieß ich trotz meiner Erfahrung als Polizeireporter an meine Grenzen. Doch Lombardos Bereitschaft, einem Beobachter die Mitfahrt zu erlauben, musste ich nutzen. Es ist eine Chance, die sich so schnell nicht wiederholen dürfte. Kängurujäger und Journalisten sind wie Feuer und Wasser. Medienberichte über die kommerzielle Kängurujagd sind regelmäßig gespickt mit Begriffen wie »brutal«, »herzlos« und »grausam«. Gebrannt von der schlechten Presse, meiden die meisten Jäger jegliche Öffentlichkeit. Das bringt ihnen wiederum den Vorwurf ein, sie hätten etwas zu verbergen. Es dauerte Monate, bis ich in unzähligen Telefonaten mit Kristen und der Kangaroo Industry Association of Australia (KIAA) eine Vertrauensbasis schaffen konnte. »Ich kann Ihnen nur versprechen, unvoreingenommen an die Geschichte heranzugehen.« Endlich Erfolg. »Du kannst kommen«, sagte Kirsten. Also ab nach Broken Hill.
Professionelle Kängurujagd, korrekt ausgeführt, ist weitaus weniger brutal und spektakulär als in der Propaganda der Gegner porträtiert. Es ist Akkordarbeit, geprägt von fließbandartiger, monotoner Effizienz. Jeder Handgriff sitzt, alles geht extrem rasch. Zeit ist in diesem Geschäft der entscheidende Faktor. Noch vor dem Morgengrauen müssen die 54 Tiere, die ein lizenzierter Jäger pro Nacht schießen darf, in der Kühlanlage sein. Mit dem Sonnenaufgang kommen die Fliegen, die sofort ihre Eier in die toten Körper legen würden. Dann wäre das Fleisch ruiniert. »Es ist ein harter Job«, erklärte Lombardo. »Mit 45 ist man ausgebrannt. Der Rücken, die Arme, das Gehör – alles kaputt.«
Nicht dass er mit viel Mitgefühl rechnen könnte – er ist das Feindbild Tausender Tier- und Umweltschützer rund um den Globus. Die Regierung überwacht die Bestände und bestimmt, wie viele Tiere in welchem Bundesland erlegt werden dürfen. Ein großer Teil des Fleisches endet in Australien als Hundefutter. Fleisch und Leder werden aber auch in 30 Länder ausgeführt. Deutsche und Schweizer gehören zu den begeistertsten Essern von Kängurufleisch, nach – man staunt – den Russen. Von dort wird das Fleisch gelegentlich, als »Reh- oder Hirschpfeffer« markiert, nach Westeuropa verkauft, erzählte mir ein Experte.
Kristen Lombardo tastete mit seinem starken Scheinwerfer die Landschaft ab. Ich erzählte ihm von meinem Treffen mit Michael Archer in Sydney. Für den weltbekannten Wissenschaftler sind Warnungen vor der Ausrottung von Kängurus »kompletter Unsinn«. Der renommierte Akademiker ist der prominenteste Sprecher einer Gruppe von Wissenschaftlern, die Kängurufleisch als idealen Ersatz für Fleisch von Rindern, Schafen und Schweinen sehen.
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