Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
Er habe wenige Sympathien für »fanatische« Tierschützer, sagte mir der Professor. »Erst wenn wir den wirtschaftlichen Wert eines Tieres schätzen, erst wenn wir es zu unserem Vorteil nutzen können, sind wir bereit, es zu schützen. Glauben Sie, dass Kühe und Schweine je aussterben werden?« Kommerziell gejagt würden praktisch nur die in großer Zahl vorkommenden Rotkängurus, das Westliche und das Östliche Graukänguru sowie das Euro, dessen Name nichts mit der europäischen Währung zu tun hat, sondern von der Bezeichnung stammt, die ihm die Aborigines gegeben haben. Die Ureinwohner nutzen Kängurus seit Jahrtausenden als bedeutende Quelle von Eiweiß. Kängurufleisch ist ausgesprochen fettarm und gesund. Für den Experten macht die Jagd auf Kängurus zur Fleischgewinnung aber vor allem aus Gründen des Umweltschutzes Sinn. »Wir Australier haben zwar viel Platz, der Boden aber ist mager und schnell zerstört. Europäische Agrarmethoden sind hierzulande jedenfalls völlig ungeeignet, um unsere Nahrung zu produzieren. Das zeigt die jüngere Geschichte.« Nur etwas mehr als 200 Jahre nach Beginn der Besiedelung des Kontinents durch britische Sträflinge und Einwanderer nähere sich der Zustand der australischen Umwelt dem Krisenpunkt. »Die Abholzung von Milliarden von Bäumen zur Schaffung von Weideland hat zur Erosion weiter Teile des Landes geführt, weil dem Boden die stabilisierende Kraft der Wurzeln fehlt«, sagte Archer. Millionen Quadratkilometer Boden seien unbrauchbar geworden; Hunderte von Tier- und Pflanzenarten starben aus, weil sie ihrer Lebensräume beraubt wurden. Doch obwohl die Ursachen für die Zerstörung mehr als bekannt sind, geht der Raubbau weiter. Riesige Flächen Land würden noch immer gerodet, um Vieh weiden zu lassen. »Harthufige europäische Nutztiere wie Schafe und Rinder schädigen die Bodenoberfläche und beschleunigen den Prozess der Erosion.«
Ganz anders die Kängurus. Sie haben sich an die ganz spezifischen Gegebenheiten des Landes in Millionen von Jahren angepasst. Ihre weichen Füße lassen den Boden unversehrt. Zudem trinken die Beuteltiere wesentlich weniger als Nutzvieh und fressen etwa fünfmal weniger Gras als Schafe. Doch ganz so einfach ist es nicht.
Kängurus bedeuten für Landwirte oft eine Gefährdung der Existenz, weil sie Nutztieren die Nahrung wegfressen. Dank Millionen Quadratkilometern Weideland konnte sich die Zahl der Kängurus in den letzten 200 Jahren explosionsartig vergrößern. Es ist, als ob die weißen Siedler im Inland eine gigantische Kängurufarm aufgemacht hätten. Etwa 50 Millionen Kängurus leben heute auf dem Kontinent, ein Vielfaches mehr als zu Beginn der europäischen Besiedelung.
Kängurus sind Überlebenskünstler erster Klasse. Weibchen haben an ihrem Bauch einen mit vier Zitzen versehenen Beutel, in dem sie ihre Jungen tragen. Wegen der klimatischen Extreme, die auf diesem Kontinent herrschen, entwickelten Kängurus einen ganz besonderen Fortpflanzungszyklus. Fehlt es während einer Dürreperiode an Futter und Wasser, können sie das Wachstum des Fötus verlangsamen. Sind die Verhältnisse wieder gut, wachsen die »Joeys« weiter, wie die Kängurubabys heißen. Unter idealen Futter- und Wasserbedingungen kann sich die Zahl der Kängurus innerhalb von fünf Jahren vervierfachen.
Hoch-Zeit für Jäger wie Kirsten Lombardo.
Eine halbe Stunde nachdem wir losgefahren waren, hatte er schon fünf Kängurus geschossen. »Zeit für den Ausnehmstopp«, meinte er. Nachtfalter tanzten um das Licht von zwei Scheinwerfern am Stahlgerüst des Toyota, als Lombardo zur Machete griff. Schlag auf Schlag köpfte er die Tiere, die an der Seite seines Autos hingen. Dann schnitt er ihnen die Hinterbeine und Schwänze ab. Alle 20 Minuten müssten neu erlegte Kängurus ausgenommen werden, sage das Regelbuch. »Die Eingeweide müssen raus, sonst wird das Fleisch schlecht«, erklärte er mir. »Alles ist genau vorgeschrieben.« Nach jedem Känguru desinfizierte Lombardo das Messer. »Wer die Vorschriften nicht befolgt, wird früher oder später zur Kasse gebeten.«
»Das ist absolut richtig«, sollte mir Joshua Gilroy bestätigen. Ich traf den Biologen und obersten Verantwortlichen für die Kontrolle der Kängurubevölkerung und -nutzung im Amt für Nationalparks im Bundesstaat New South Wales später im Pub. Sein jugendliches Aussehen täuschte: Gilroy ist nicht nur Wissenschaftler, er ist auch Polizist. Er kennt keine Gnade mit jenen, die sich
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