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Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Titel: Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Wälterlin
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nicht an die Regeln halten. Sowohl die Jagd als auch die Verarbeitung von Kängurus sei »so streng reguliert wie kein anderer Zweig der Agrarindustrie«. Potentielle Kängurujäger müssen einen mehrwöchigen Kurs absolvieren und eine Prüfung bestehen. Erst dann gibt es eine Lizenz. Auch eine strenge Schießprüfung gibt es, denn über die Art und Weise der Tötung könne nicht diskutiert werden. »Kopfschuss, und sonst gar nichts«, meinte Gilroy. »Das Tier wird in seiner natürlichen Umgebung getötet«, erklärt der Beamte. »Es weidet – und eine Sekunde später ist es tot.« Dies sei die ethischste Methode der Fleischproduktion. Trotzdem begegnen Tierschützer gerade der Frage der Tötung mit großer Skepsis – und das mit gutem Grund. Schüsse in den Hals, den Brustkorb oder noch tiefer seien an der Tagesordnung, sagen selbst Kritiker aus der Känguruindustrie. Auch das Schicksal von Kängurubabys empört viele. »Joeys« müssen gemäß Vorschrift von den Jägern erschlagen werden, weil sie ohne den Schutz ihrer Mütter sofort Opfer von Raubvögeln und Füchsen würden. »Ich versuche, möglichst keine Weibchen zu schießen«, sagte Kristen Lombardo. »Meistens gelingt mir das.«
    Dann war die Nacht vorbei für den Jäger. 54 Tiere – sein Soll war erfüllt. Am nächsten Tag wurden die Kängurus im Schlachthof der Stadt zerlegt und verpackt. Ein Inspektor kontrollierte, ob sie nach Vorschrift geschossen worden waren. Entdeckt er einen Hals- oder Brustschuss, müssen Schlachthof, Kühlanlagenbesitzer und Jäger büßen – mit je 300 Euro pro Tier. »Lange macht einer das nicht, bei diesen hohen Bußen«, sagte Lombardo. Der Sohn italienischer Einwanderer ist seit 14 Jahren Kängurujäger. »Wenn ich morgen im Lotto eine Million gewinne, werde ich nie wieder ein Känguru schießen. Aber man muss ja von etwas leben.«
    *
    Ein paar Jahre sind seit dieser Reportage vergangen. Als ich unsere Schotterstraße entlangfahre, im Schritttempo, frage ich mich, ob Lombardo wohl inzwischen den Sechser im Lotto gewonnen hat oder ob er schon im Rollstuhl sitzt. Mit meinem Handscheinwerfer suche ich weiter den Straßenrand ab. Christine hat mir erklärt, wo etwa auf der sieben Kilometer langen Strecke ihr das Känguru in den Wagen gerannt war. Ich habe einmal gelesen, dass pro Nacht in Australien 10000 Tiere Opfer des Straßenverkehrs werden. Die überfahrenen Tiere, die wir alleine hier auf unserer wenig befahrenen Straße sehen – fast jeden Morgen ein Kaninchen, ein Hase, eine Echse, ein Wombat oder eben ein Känguru –, lassen vermuten, dass diese Zahl eher konservativ bemessen ist. Eine Kollision mit einem Känguru ist immer traumatisch, und zwar nicht nur für das Tier. Die Schäden am Fahrzeug sind meist signifikant, bei größeren Tieren können solche Unfälle schnell einmal im Totalschaden enden. Oder mit dem Tod des Fahrers. Immer wieder gibt es Meldungen von Kollisionen, bei denen ein Känguru durch die Frontscheibe des Autos in die Kabine geschleudert wurde und den Fahrer erschlug.
    Mich überrascht immer wieder, wie Kängurus am Straßenrand stehen und in aller Ruhe zuschauen, wie sich ein Fahrzeug nähert. Fast wie ein Anhalter, der darauf wartet, mitgenommen zu werden. Dann, wenn ein Fahrer glaubt, die Gefahr sei vorbei, springt das Tier auf die Straße. Das Känguru wird erfasst, knallt gegen den Kotflügel, fällt um und gerät mit den Beinen oder dem Schwanz unter die Räder. Wenn es Glück hat – sofern man das so sagen kann –, wird es dabei getötet. Oft aber überlebt das Tier. Mit schwersten Verletzungen schleppt es sich in den Wald hinter dem Straßenrand, um langsam und unter furchtbaren Schmerzen zu verenden. Es ist inzwischen fast ein Uhr früh. Die Chance, das angefahrene Tier noch zu finden – mitten in der Nacht, in dichtem Gebüsch –, ist gering. Doch ich habe Glück. Für den Bruchteil einer Sekunde erkenne ich im Licht des Scheinwerfers das helle Flackern von zwei Augen. Ich halte an und gehe durch das Gebüsch auf das Tier zu. Es ist ein großes Känguru, ein Männchen, stark und wild. Ich bin erstaunt, dass es keinen wesentlichen Schaden an unserem Auto angerichtet hat. Als ich mich ihm langsam nähere, sehe ich die Panik in seinen Augen. Verzweifelt versucht das Känguru aufzustehen. Doch es hat keine Chance. Beide Hinterbeine sind gebrochen. Wäre das Tier nur leicht verletzt, hätte ich den Wildrettungsdienst anrufen können. Freiwillige hätten das Känguru

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