Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
Vorsitzender unserer Gruppe spreche meistens ich in der Öffentlichkeit, auch kritisch. Das schützt die anderen Mitglieder und ihre Familien vor möglichen Folgen. Einige leben schon seit Generationen in Greentown. So bewahren sie ihr Ansehen und können sich ungestört von politisch motivierten Angriffen auf die Projekte konzentrieren. Ich frage mich oft, wie mein deutlich hörbarer Schweizer Akzent wohl ankommt, wenn ich vor der Gemeindeversammlung spreche oder bei Veranstaltungen. Die meisten scheinen erst verblüfft und dann vielleicht sogar etwas stolz, dass einer, der eigentlich gar nicht müsste, nicht nur gerne hier lebt, sondern auch versucht, etwas für Greentown zu tun. Und der gelegentlich offen kritisiert, was viele nur zu denken wagen. Denn immer wieder stelle ich fest: Im Alltag scheuen die meisten Australierinnen und Australier den Konflikt. Sie bleiben lieber ruhig, als aufzubegehren.
Inzwischen ziehen wir auch die Aufmerksamkeit von Akademikern auf uns. Die renommierte Australian National University (ANU) in Canberra arbeitet mit uns zusammen. Wir machen gemeinsam eine Studie zur Entwicklung von Greentown. Die Erkenntnisse sind ernüchternd: Unser Dorf treibt in mehrfacher Weise auf den Abgrund zu. Der Mangel an nachhaltigen Industrien, an guten Jobs, erhöht den Druck auf die Sozialeinrichtungen. Da die Mieten in unserer Gegend um einiges günstiger sind als in Sydney, drängen immer mehr Menschen aus unteren sozialen Schichten nach Greentown – Menschen mit schlechter Ausbildung oder gar keiner, mit einer Apathie gegenüber fast allem, außer Autos, Bier und Rugby.
»Bogans«, sagt Viola und verzieht ihr Gesicht.
Es ist schwierig, das Wort »Bogan« zu definieren. Obwohl es eines der wichtigsten im australischen Sprachgebrauch ist und praktisch nur hier und in Neuseeland verwendet wird. Es steht für einen Australier oder eine Australierin, die man in fast allen Teilen des Landes findet, vor allem jedoch in den äußeren Suburbs der Großstädte oder eben in regionalen Städten wie Greentown. Traditionell hat ein »Bogan« eine eher schwache Schulbildung, minimale Allgemeinbildung, ist vielleicht eine Person, die willentlich arbeitslos ist oder arbeitsscheu, sich eigentlich nicht um Politik kümmert oder um eine produktive Teilnahme am öffentlichen Leben. Einzig Sport – eher als Zuschauer denn als Mitspieler –, schnelle Autos, Moto-Cross, Fast-Food und Konsum interessieren einen »typischen« Bogan. Das Wort kann am ehesten noch mit dem deutschen »Assi« verglichen werden, meint Christine. Aber längst nicht alle Bogans sind »asozial« im Sinne der Definition.
Billige Trainingshosen und sogenannte »Ugg Boots« – australische Stiefel aus Lammfell, die eigentlich als Hausschuhe gedacht sind – können fast als Bogan-Uniform bezeichnet werden. Nicht dass irgendetwas einzuwenden wäre gegen Ugg Boots. Ich besitze selbst welche – ich trage sie im australischen Winter oft – in meinem Büro. Aber sich damit auf die Straße zu wagen, ins Einkaufszentrum, in die Öffentlichkeit, ist in Australien Zeichen eines ernsthaften Mangels an Stilbewusstsein. Bei einer Reise nach Europa habe ich mit Verblüffung festgestellt, dass Ugg Boots groß in Mode sind in Düsseldorf, Berlin und Zürich. Offenbar hat man dort keine Ahnung, welcher Sozialgeruch diesen Stiefeln in Australien anhängt. Es spricht für die Qualität des Marketings der Firma, die diese Fußbekleidung vertreibt, dass sie Ugg Boots trotzdem zu einem gesuchten und in Europa völlig überteuerten Modeobjekt machen konnte.
Auf viele Bogans treffen all diese Merkmale zu, längst aber nicht auf alle. Ob sie in Melbourne leben, in den Suburbs von Sydney oder in Greentown, ob sie einen Job haben oder nicht – nach Meinung von Viola sind alle Bogans durch einen entscheidenden Charakterzug verbunden. »Ignoranz. Bogans sind ignorant gegenüber allem, was nicht ›Austrayn‹ ist«, sagt sie. »Die meisten sind rassistisch oder Fremden gegenüber zumindest feindlich eingestellt, sie sind auf unangenehme Art und Weise patriotisch und denken insulär. In der Regel sind sie nicht im Geringsten daran interessiert, sich auch nur ansatzweise mit den Problemen zu befassen, die sie auf den ersten Blick nicht persönlich betreffen. Außer sie fühlen sich bedroht, etwa durch Asylanten, Terroristen oder durch neue Steuern.« Bogans, sagt Viola, sind die perfekten Zuhörer von Alan Jones und Ray Hadley. »Denn die ›Shock Jocks‹ müssen
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