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Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Titel: Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Wälterlin
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Dollars ins Land. »Gleichzeitig haben Akademiker einen Scheiß-Stand in der Gesellschaft«, sagt Alecia. Das zeigt sich nicht nur am mangelnden Ansehen und Respekt, den Intellektuelle genießen, sondern vor allem auch im Geldbeutel. Joel, der Maurer, der die 18000 Backsteine unseres Hauses zusammenzementiert und sein Handwerk in einer mehrmonatigen Ausbildung gelernt hat, verdient um einiges mehr als ein Rechtsanwalt, der nach sechs Jahren Studium in einer Kanzlei seine Karriere beginnt. Antonio, unser Klempner, verdient mit dem Verlegen von Kanalisationsrohren mehr als Paul, unser Hausarzt, mit der Untersuchung einer Speiseröhre.
    Simmonds lamentiert darüber, dass es in Australien an philosophischen Debatten fehle. »Im Gegensatz zu Frankreich, wo Philosophen regelmäßig auf der Titelseite von Le Monde gedruckt werden, dominieren in Australien die »Shock Jocks«. Das Problem sei aber nicht, dass sich solche ignoranten Idioten in der Öffentlichkeit äußern könnten. Die Tragödie sei, dass sie so erfolgreich sind als Meinungsmacher. »Mein Problem ist, dass wir als Land, als Nation gegenüber gut ausgebildeten Menschen negativ eingestellt sind.«
    Für viele Mitteleuropäer, die nach Australien kommen – sei es als Einwanderer oder als Langzeitbesucher –, bereitet dieser Umstand am meisten Mühe. Selbstverständlich gibt es auch australische Philosophen und Denker von Weltbedeutung – der brillante Ethiker Peter Singer etwa, die Kulturtheoretikerin Anna-Marie Jagose oder der Rechtstheoretiker Martin Krygier. Eine Vielzahl von Autoren und Denkern stimuliert mit ihren Werken regelmäßig die öffentliche Debatte. Der weitaus größte Teil der Australierinnen und Australier aber liest kaum den Nobelpreisträger J. M. Cotzee oder Thomas Keneally (»Schindlers Liste«) oder vertieft sich im Kino in einen französischen Studiofilm. Das Volk bezieht seine Informationen aus den Massenmedien. Und die haben in den letzten Jahren einen geradezu dramatischen Schwenk in Richtung Gosse gemacht. Boulevardthemen dominieren die Berichterstattung fast aller privaten Medienanstalten. Wichtigste politische Themen werden trivialisiert. Mit Ausnahme der beiden staatlichen Sender ABC und SBS sind die Programme auf Trash ausgerichtet, alle sechs Minuten unterbrochen von Werbung für Erwachsenen-Windeln und Plastikgeschirr. Schrott verkauft sich am besten. Mentales Fast-Food für »Bogans«.
    Der Trend zur Massenverblödung hat auch eine politische Komponente. Die australische Medienlandschaft ist derart konzentriert, wie das in kaum einem anderen Land der westlichen Welt der Fall ist. Knapp 70 Prozent der Druckmedien werden vom amerikanischen Medienzar Rupert Murdoch kontrolliert, der nie einen Hehl daraus gemacht hat, dass er die enorme Reichweite seiner Zeitungen nutzt, um politische Ziele zu erreichen. Murdochs Blätter – unter ihnen die einzige landesweite Tageszeitung The Australian  – haben sich in den vergangenen Jahren zu einem Propagandainstrument ultrakonservativen Denkens entwickelt. Doch nicht nur die Murdoch-Blätter haben sich in Richtung rechts entwickelt, auch früher progressive Medien wie die Zeitungen aus dem Fairfax-Verlag ( Sydney Morning Herald , The Age , Australian Financial Revue ) sind immer weniger mutig geworden, sich gegen die Position ihrer großen und einflussreichen Aktionäre zu stellen. Selbst in diesen Blättern werden inzwischen kritische Stimmen als »Latte schlürfende Intellektuelle« bezeichnet und Akademiker gelegentlich als »Quassler-Klasse«.
    »Australien ist ohne Zweifel ein riesiger, sonniger intellektueller Gulag«, sagt Alecia Simmonds. Die Frage sei nur: Weshalb? Alecia liefert die Antwort gleich mit: Der australische Anti-Intellektualismus sei eng verknüpft mit dem Mythos der Gleichheit. »Die australische Geschichte wird gerne als Geschichte der Klassenlosigkeit erzählt«, sagt sie, das absolute Gegenstück zur Klassengesellschaft in Großbritannien, dem früheren Mutterland. »Wenn Australier von Arbeit sprechen, dann meinen sie harte, körperliche Arbeit, nicht intellektuelle.« Australien habe im Verlauf seiner Geschichte die »noble Idee der Gleichheit« nicht als Umverteilung von Wohlstand und Macht interpretiert, sondern als »kulturelle Gleichförmigkeit«. Der kleinste gemeinsame Nenner als Tyrann über das Denken einer ganzen Nation. Wer über das herausragt, was »normal« ist, der wird geköpft. Kinder lernten schon früh, dass »gescheit sein« ein Grund

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