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Weit weg ... nach Hause

Titel: Weit weg ... nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Wiese sickert ein Bach, die Ufer gesäumt mit unzählbaren vierblättrigen Kleeblättern.
     
    »Luisa, das ist nicht dein Ernst!«, ruft Katja aus und steht fassungslos mit zornesroten Wangen in der Küchentür, ein Handtuch
     wie einen Turban um den Kopf geschlungen, ein zweites um den Körper gewickelt.
    Die Wiesenbilder zerbröseln vor Luisas Augen und sie kehrt schlagartig zurück in die Wirklichkeit. Ihr zufriedenes Lächeln
     friert ein. Sie starrt zuerst auf Katjas spärliche Bekleidung, dann auf das halbe Brot in ihrer Hand und schließlich zur Küchenuhr.
     Es ist fünf vor acht. In diesem Moment wird der zweite Bus gerade an der Bushaltestelle seine Türen schließen.
    Nun hat sie ihn doch verpasst!

Bauchnabelpiercing
    »Mama, ich geh!«, ruft Luisa von der geöffneten Wohnungstür ins Elternschlafzimmer.
    »Luisa, Herrgott, ich steh hier halb nackt. Mach die Tür zu.«
    »Tschüss«, flüstert Luisa kleinlaut.
    Katja winkt der Tochter unwirsch, ohne sich vom Kleiderschrank wegzudrehen. Luisa knallt die Tür und läuft polternd die Treppe
     hinunter. Hoffentlich erwischt sie den nächsten Bus. Zu spät kommt sie jetzt sowieso. Sie hält sich am Geländer fest und nimmt
     zwei Stufen auf einmal. Dem letzten Treppenabsatz fehlt in der Mitte ein Stück des alten Betons. Aus Versehen tritt sie mit
     Schwung auf die herausgebrochene Kante, der schwere Stiefel rutscht ab. Ein kurzer, heller Schrei schallt durchs Treppenhaus
     und Luisa bollert auf demHintern die letzten vier Stufen hinunter. Dann herrscht Ruhe. Erschrocken und mit schmerzverzerrtem Gesicht sitzt sie auf
     dem Boden und sieht zum ersten Mal die Schnitzereien im hölzernen Treppengeländer. Eine riesige Eule fixiert Luisa mit ihren
     Kulleraugen.
    »Macht es Spaß, auf Gestolperte zu glotzen?«, zischt Luisa und streckt der Eule wütend die Zunge heraus. Dabei würde sie lieber
     vor Schmerz weinen: Der Fuß tut nämlich ganz schön weh.
    »Ich weiß, was du mir raten willst: Nimm die Stufen einzeln, sei konzentrierter, dann machst du weniger Fehler. Oder heute
     im Sonderangebot, der Supertipp: früher aufstehen! Danke! Alles keine Neuigkeiten. Aber ich brauch deine guten Ratschläge
     nicht!«
    Jetzt spricht sie doch tatsächlich zu diesem Tier im Holzgeländer. Luisa hört, wie ihre eigene Stimme fremd im Treppenhaus
     verhallt.
    Dann steht sie mühevoll auf und reibt mit der Hand über ihren Po, als könne sie dadurch den Schmerz lindern. Ihren rechten
     Fuß hat’s erwischt. Wenn sie jetzt wieder nach oben geht, kriegt Katja garantiert einen Nervenzusammenbruch. Also humpelt
     sie zur Bushaltestelle.
    Die meisten Schüler, die unterwegs sind, habenwohl zur zweiten Stunde Unterricht. Luisa muss sich eine gute Ausrede einfallen lassen. Ausreden hat sie während der Grundschulzeit
     trainiert. Mittlerweile ist sie eine wahre Meisterin.
    Gerade hält der Bus vor dem Seniorenheim. Ein unglaublich alter Mann mit Stock und Hut steigt ein. Sofort hat sie eine super
     Idee. Sie könnte sagen: »Ein alter Mann hat mich angesprochen und nach dem Weg zu einer Arztpraxis gefragt. Aber die Batterien
     in seinem Hörgerät waren plötzlich leer, also konnte er meine Wegbeschreibung nicht hören. Deshalb musste ich ihn zu seinem
     Arzt bringen, weil er niemals den Weg allein gefunden hätte.«
    Absolut überzeugend! Ältere Damen machen sich übrigens auch immer ganz gut in Ausreden, weil dann sogar Lehrerinnen Mitleid
     haben. Lehrerinnen wollen diese Geschichten mit alten Leuten und hilfsbereiten Kindern hören, um die Hoffnung in das Gute
     nicht komplett zu verlieren, und deshalb denken sie, »dass das soziale Verhalten ein direktes Ergebnis des Unterrichtes ist«.
     Sozusagen: in die Tat umgesetzte Nächstenliebe. Jedenfalls funktioniert das in fast allen Fällen.
    Zweite Möglichkeit: »Eine alte Dame hat mich gebeten, schnell mit ihrem Hund Gassi zu gehen,weil sie sich ausgeschlossen hatte und auf den Schlüsseldienst wartete, aber leider trug sie nur Filzpantoffeln. Das Hundeausführen
     konnte ich ihr bei dem Matsch auf der Straße mit den Pantoffeln doch nicht zumuten.«
    Klingt herzerweichend!
    Und Luisas Fantasie schlägt weitere Kapriolen: »Ein entflogener Kanarienvogel ist auf meinem Kopf gelandet, hat angefangen
     zu singen und zu trällern, so dass ich solche Kopfschmerzen bekam und noch mal nach Hause musste, um eine Schmerztablette
     zu nehmen.« Nicht schlecht! Bei ihren Locken kann so ein Vogel die Haare leicht mit seinem Nest

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