Weit wie das Meer
gefunden hatte. Seit ihrer Ankunft am frühen Morgen hatte der Wind deutlich aufgefrischt. Gewaltige graue Wolken rollten vom Meer heran, und die schäumenden Wellen waren fast meterhoch. Das Unwetter konnte nicht mehr fern sein.
Sie war schon seit Stunden hier und ließ ihre Liebesgeschichte mit Garrett bis zum Tag ihrer Trennung noch einmal Revue passieren; dabei durchforstete sie ihre Erinnerungen, um das Geschehene besser zu begreifen. Seit ihrem Abschied wurde sie immer wieder von dem Bild verfolgt, wie Garrett hinter ihrem davonfahrenden Wagen hergelaufen war. Ihn dennoch zu verlassen war das Schwerste und Grausamste gewesen, was sie jemals getan hatte. Oft sann sie darüber nach, was sie anders gemacht hätte, wenn sie die Zeit hätte zurückdrehen können.
Schließlich erhob sie sich und ging den Strand entlang. Wie wünschte sie, er könnte jetzt bei ihr sein! Ein ruhiger, nebliger Tag wie dieser hätte ihm gewiß gefallen. Sie stellte sich vor, daß er neben ihr herschlenderte, während sie den Horizont betrachtete. Wie gebannt vom Schäumen und Tosen des Meeres hielt sie inne. Aber als sie sich wieder abwandte, war sein Bild verblaßt, und sie bemühte sich vergebens, es zurückzuholen. Jetzt wußte sie, daß der Augenblick gekommen war. Langsam ging sie weiter und fragte sich, ob Garrett den Grund ihres Kommens erraten hätte.
Obwohl sie sich innerlich dagegen sträubte, kehrten ihre Gedanken immer wieder zu den Tagen nach der Trennung zurück. Wir haben so vieles unausgesprochen gelassen, grübelte sie. Ach, hätten wir doch… dachte sie zum hundertsten Male, als die Erinnerungen an jene Zeit an ihr vorbeizogen, wie ein Film, den sie nicht stoppen konnte.
Ach, hätten wir doch…
Nach ihrer Ankunft in Boston hatte Theresa Kevin abgeholt, der den Tag über bei einem Freund gewesen war. Aufgeregt erzählte er ihr von einem Video, das er dort hatte sehen dürfen, und merkte vor lauter Begeisterung gar nicht, daß seine Mutter ihm kaum zuhörte.
Zu Hause bestellte Theresa zwei Pizzas, die sie vor dem Fernseher im Wohnzimmer verzehrten. Dann bat sie ihn - statt, wie üblich, seine Hausaufgaben zu machen -, noch ein Weilchen bei ihr zu bleiben. Während sie aneinandergekuschelt auf der Couch saßen, warf Kevin ihr von Zeit zu Zeit einen beunruhigten Blick zu. Sie aber strich ihm nur geistesabwesend übers Haar und war mit ihren Gedanken tausend Meilen entfernt.
Später, als Kevin zu Bett gegangen war, schlüpfte sie in ihren Seidenpyjama und schenkte sich ein Glas Wein ein. Als sie zurück ins Schlafzimmer ging, schaltete sie den Anrufbeantworter aus.
Am folgenden Tag traf sie sich mit Deanna zum Lunch und erzählte ihr, was geschehen war.
»Es ist besser so«, sagte sie mit Nachdruck. »Ich werde schon damit fertig.«
Deanna sah sie fragend und voller Mitgefühl an und nickte nur wortlos bei Theresas tapferen Beteuerungen.
In der folgenden Zeit tat Theresa ihr Bestes, um möglichst wenig an Garrett zu denken. Nach Dan Mandels Anruf, der ihr neuen beruflichen Auftrieb gab, stürzte sie sich Hals über Kopf in die Arbeit und schrieb fortan zwei bis drei Kolumnen am Tag. Auch die hektische Atmosphäre im Nachrichtenraum tat ihr gut.
Abends aber, wenn Kevin zu Bett gegangen und sie allein war, fiel es ihr schwer, Garretts Bild zu verdrängen. Um sich abzulenken, begann sie, ihre Wohnung zu putzen und aufzuräumen; sie saugte Staub, schrubbte die Böden, räumte ihre Schränke um und sortierte alle nicht mehr getragenen Kleider aus, um sie zum Roten Kreuz zu bringen. Als die Kleiderkartons im Auto verstaut waren, ging sie noch einmal durch alle Zimmer und vergewisserte sich, daß es nichts mehr zu tun gab. Weil sie wußte, daß sie keinen Schlaf finden würde, hockte sie sich vor den Fernseher, und bei einer ihrer Lieblingssendungen begann sie plötzlich hemmungslos zu weinen.
Am Wochenende besuchte sie mit Kevin das Fußballspiel zwischen den ›New England Patriots‹ und den ›Chicago Bears‹. Obwohl sie nichts vom Fußball verstand, hatte sie sich breitschlagen lassen, Kevin zu begleiten.
Hinterher, beim Abendessen, erzählte sie ihm, daß sie Garrett nicht wiedersehen würde.
»Ist was passiert, Mom, als du ihn das letzte Mal getroffen hast? Hat er etwas getan, das dich geärgert hat?«
»Nein«, erwiderte Theresa ruhig. »Aber es sollte wohl nicht sein«, fügte sie nach einem Zögern hinzu.
Obwohl die Antwort für Kevin rätselhaft sein mußte, konnte sie sich zu keiner weiteren
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