Weiter weg
Montagmorgen um sechs einen Whiskey hinunterstürzt und den Abfluss der Küchenspüle reinigt, wobei sie «laute, kindische Geräusche des Ekels» von sich gibt. Otto ist gemein genug zu sagen: «Viel Glück, Kumpel», als Charlie aus der gemeinsamen Kanzlei austritt; Sophie ist gemein genug, ihn später zu fragen, warum er das gesagt hat; Otto ist entsetzt, als sie ihn das fragt; Sophie ist entsetzt, dass sie ihn entsetzt hat.
Als ich Was am Ende bleibt 1991 zum ersten Mal las, verliebte ich mich in das Buch. Es erschien mir allen anderen Romanen von Paula Fox’ Zeitgenossen John Updike, Philip Roth oder Saul Bellow deutlich überlegen. Es erschien mir unverkennbar groß , und obwohl ich es damit für gewöhnlich nicht so eilig habe, las ich es wenige Monate später ein zweites Mal. In der Ehe der Bentwoods hatte ich meine eigene gefährdete Ehe wiedererkannt, und das Buch wollte mir, so schien es, sagen, dass die Furcht vor Schmerz zerstörerischer ist als der Schmerz selbst, und das glaubte ich nur zu gern. Tatsächlich dachte ich, dieses Buch würde mir bei der zweiten Lektüre vielleicht sagen können, wie ich leben sollte.
Das tat es nicht. Stattdessen wurde es immer geheimnisvoller – weniger eine Lektion als eine Erfahrung. Bislang unsichtbar gebliebene metaphorische und thematische Verdichtungen nahmen Gestalt an wie Figuren in einem Autostereogramm. Ich stieß zum Beispiel auf einen Satz, der beschreibt, wie das erste Morgenlicht in ein Wohnzimmer fällt: «Gegenstände, deren Konturen sich im zunehmenden Licht verfestigten, strahlten eine vage, totemhafte Bedrohung aus.» Im zunehmenden Licht meiner zweiten Lektüre sah ich, wie sich jeder Gegenstand in diesem Buch ganz genauso zu verfestigen begann. Hühnerleber zum Beispiel wird im ersten Absatz als Delikatesse und Höhepunkt eines kultivierten Abendessens eingeführt – als Inbegriff europäischer Zivilisation. («Man nimmt den Rohstoff und wandelt ihn um», sagt der politisch linksstehende Leon später einmal. « Das ist Zivilisation.») Der Geruch der Hühnerleber, ihr volles Aroma , lockt die problematische Katze zur Hintertür der Bentwoods. Hundert Seiten später – die Katze hat Sophie inzwischen gebissen (der «dumme Vorfall») – beginnen sie und Otto, sich zu wehren. Sie sind jetzt im Dschungel, und die übrig gebliebene Hühnerleber hat sich in einen Köder für ein wildes Tier verwandelt, das sie fangen und töten wollen. Gekochtes Fleisch ist noch immer der Inbegriff von Zivilisation; doch wie viel gewalttätiger scheint diese Zivilisation jetzt zu sein! Wir können dem Essen aber auch in eine andere Richtung folgen; wir sehen eine erschütterte Sophie, die sich an einem Samstagmorgen aufmuntern will, indem sie Geld für ein Kochutensil ausgibt. Sie geht zum Bazaar Provençal, um eine Omelettepfanne zu kaufen, ein Requisit für einen «verschwommenen häuslichen Traum» von französischer Leichtigkeit und Kultiviertheit. Die Szene endet damit, dass die beunruhigenderweise bärtige Verkäuferin gestikuliert, «als wolle sie einen Fluch abwehren», und Sophie die Flucht ergreift, mit einem Gegenstand, so durch und durch falsch und dabei so symbolisch für ihre Verzweiflung, dass es beinahe schon komisch ist: einer Sanduhr zum Eierkochen.
In dieser Szene blutet Sophies Hand, doch ihr erster Impuls ist, es zu leugnen. Als ich Was am Ende bleibt zum dritten Mal las – ich hatte es meinen Studenten als Lektüre aufgegeben –, wandte ich meine Aufmerksamkeit diesen Verleugnungen zu. Sophie gibt sie mehr oder weniger ständig von sich: « Ist schon gut», «Ach, es ist nichts», «Ach, na ja, nicht schlimm», «Nicht der Rede wert», «DIE KATZE WAR NICHT KRANK!», «Es ist nur ein Biss, nur ein Biss!», «Ich renne doch nicht wegen einer so dummen Sache ins Krankenhaus», «Es ist nichts», «Es ist schon viel besser», «Es ist egal.» Diese wiederholten, verzweifelt klingenden Verleugnungen reflektieren die Tiefenstruktur des Romans: Sophie flieht von einem möglichen Hafen in den anderen, doch keiner vermag sie zu schützen. Sie geht mit Otto auf eine Party, sie schleicht sich mit Charlie davon und verspürt eine «unrechtmäßige Erregung», sie kauft sich ein Geschenk, sie sucht Trost bei alten Freunden, sie bemüht sich um Charlies Frau, sie versucht, einen früheren Liebhaber zu erreichen, sie erklärt sich bereit, ins Krankenhaus zu gehen, sie fängt die Katze, sie baut sich ein «Straußennest» aus Kissen, sie versucht, einen
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