Weiter weg
wilden Tiere ausschließliches Eigentum des italienischen Staates sind. Das heißt, dass für die Ausübung der Jagd eine besondere Genehmigung erforderlich ist. In den zwanzig Jahren, die seither vergangen sind, haben sich einige Populationen italienischer Großtierarten, darunter auch Wölfe, spektakulär erholt, während die Zahl der registrierten Jäger auf unter 800000 gesunken ist. Diese beiden Trends bewogen Franco Orsi, einen zu Silvio Berlusconis Partei gehörenden Senator aus Ligurien, eine Gesetzesvorlage einzubringen, die den Gebrauch von Lockvögeln erlauben, Jagdgebiete ausweiten und Schonzeiten verkürzen würde. Ein zweites, mit Rücksicht auf die EU erlassenes Gesetz, mit dem Italien die Vorgaben der Vogelschutzrichtlinie erfüllen und sich Hunderte Millionen Euro an Strafgeldern ersparen wollte, ist 2010 vom Parlament verabschiedet worden und bedeutet zumindest in einer Hinsicht einen klaren Sieg für die Jagdlobby: Die Jagdzeit für bestimmte Vogelarten ist auf den Februar verlegt worden.
Ich traf Orsi am Vorabend der Regionalwahlen, die Berlusconis Koalition weitere Zuwächse bescherten, im Büro seiner Partei in Genua. Orsi, ein gutaussehender Mittvierziger mit sanften Augen, ist ein passionierter Jäger, der seinen Urlaubsort danach aussucht, welche Tiere man dort schießen kann. Seine Argumente für eine Änderung des Gesetzes von 1992 lauten, es habe zu einer sprunghaften Zunahme von Schädlingen geführt; italienische Jäger sollten dasselbe tun dürfen wie französische oder spanische; private Landbesitzer könnten den Wildbestand besser regulieren als der Staat, und das Jagen sei eine gesellschaftlich und spirituell nützliche Tätigkeit. Er zeigte mir ein Zeitungsfoto von einem Wildschwein, das über eine Straße in Genua spazierte, er sprach von Starenschwärmen, welche die Flugsicherheit bedrohten und große Schäden in Weinbergen anrichteten. Als ich ihm zustimmte und sagte, die Zahl von Wildschweinen und Staren müsse natürlich begrenzt werden, fuhr er fort, Jäger gingen nicht gern in der vorgeschriebenen Zeit auf die Wildschweinjagd. «Und überhaupt halte ich es für falsch, die Jagd auf Wildschweine, Biberratten und Stare zu beschränken», sagte er. «Um die kann sich die Armee kümmern.»
Ich fragte Orsi, ob er dafür sei, bei allen Vogelarten die für die Erhaltung der Art maximal zulässigen Abschusszahlen auszuschöpfen.
«Stellen wir uns die Tierwelt als Kapital vor, das jedes Jahr Zinsen abwirft», sagte er. «Wenn ich lediglich die Zinsen verbrauche, bleibt das Kapital unangetastet, und die Zukunft sowohl der Art als auch der Jagd ist gesichert.»
«Aber es gibt doch auch die Investmentstrategie, einen Teil der Zinsen zu reinvestieren, um das Kapital zu vergrößern», wandte ich ein.
«Das kommt auf die jeweilige Tierart an. Für jede gibt es eine optimale Populationsdichte, die entweder über- oder unterschritten wird. Da ist die Jagd das geeignete Regulativ.»
Bei früheren Italienbesuchen hatte ich den Eindruck gewonnen, dass die Populationsdichte praktisch aller Vogelarten suboptimal war. Da Orsi anderer Meinung zu sein schien, fragte ich ihn, welchen Nutzen die Gesellschaft aus der Jagd auf harmlose Vögel ziehe. Zu meiner Überraschung zitierte er Peter Singer, den Autor von Animal Liberation – Die Befreiung der Tiere , und sagte, wenn jeder Mensch die Tiere, die er essen wolle, töten müsste, wären wir alle Vegetarier. «In unserer verstädterten Gesellschaft ist die Beziehung zwischen Mensch und Tier, in der es immer Elemente der Gewalt gab, verlorengegangen», sagte Orsi. «Als ich vierzehn war, befahl mein Großvater mir, ein Huhn zu schlachten – das war eine Familientradition –, und jetzt denke ich jedes Mal, wenn ich ein Hähnchen esse, dass dieses Fleisch einmal ein Tier war. Und um auf Peter Singer zurückzukommen: Der übermäßige Fleischverzehr in unserer Gesellschaft korrespondiert mit dem übermäßigen Verbrauch von Ressourcen. Auf gewaltigen Flächen wird ressourcenintensive, industrialisierte Landwirtschaft betrieben, weil wir unser ländliches Lebensgefühl verloren haben. Wir sollten nicht glauben, dass Jagen die einzige Gewalt ist, die Menschen der Natur antun. Und in diesem Licht betrachtet, ist die Jagd etwas Sensibilisierendes.»
Ich musste Orsi in diesem Punkt recht geben, doch für die italienischen Umweltschützer, mit denen ich sprach, bewies seine Rhetorik nur, wie geschickt er im Umgang mit Journalisten war. Hinter der
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